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Die Buchmalerin

Die Buchmalerin

Titel: Die Buchmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sauer
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Desserts bestanden aus kandierten Früchten und aus mit Mandeln und Nüssen angereicherten Kompotten. Roger hatte schon bei glanzvolleren Festmählern als dem des Kölner Erzbischofs Dienst getan. Aber er musste trotzdem zugeben, dass die Speisen, selbst am unteren Ende der Tafel, wo die einfacheren Gäste saßen, gut und reichlich waren.
    Wieder wanderte Rogers Blick zu dem Podium an der Stirnseite des großen Saales. Es war nicht schwierig gewesen, sich unter die Dienerschaft zu mischen und sich so Zutritt zu dem Palast zu verschaffen. Auch hatte er leicht herausfinden können, welche Räume der Kardinal bewohnte und wo seine Diener und Soldaten untergebracht worden waren. Aber wie es ihm gelingen sollte, während der Nacht unbemerkt in die Nähe von Enzios Gemächern zu kommen oder wie er sich in den nächsten Tagen am Hof des Erzbischofs verhalten sollte, wenn ein Großteil der Gäste und deren Diener abgereist war, wusste er noch nicht. Es ist wie bei der Jagd, sagte er sich. Er musste die Gelegenheiten, wenn sie sich unversehens boten, sofort erkennen und ergreifen.
    Ein weiterer Gast, für dessen Wohl Roger zuständig war, hatte seinen Becher geleert. Während Roger zur Tafel ging, nach dem Krug griff und dem Mann Wein nachschenkte, nahm er wieder das dunstige gelbliche Licht wahr, das über dem Saal lag. Ein Gefühl der Unwirklichkeit ergriff ihn. Diese Männer, die vor ihm saßen, waren reiche Kaufleute und wohlhabende Handwerker und Ratsmitglieder. Sie hatten ihren festen Platz in der Welt und gehörten an diese Tafel. Wenn es ihm gelingen sollte, seinen Auftrag zu erfüllen, würde er nach Salerno zurückkehren und dort, zumindest eine Weile, seiner Tätigkeit als Medicus nachkommen. Aber obwohl er dieses Tun liebte, gehörte er nicht wirklich in die südländische Stadt.
    Die Speisenfolge war nun fast abgeschlossen. An der Tafel der Vornehmen und Mächtigen beugte sich Heinrich von Müllenark vor und gab einem Diener einen Wink. Dieser lief in Richtung des Ganges davon, aus dem das Essen aufgetragen worden war. Roger rechnete damit, dass der Erzbischof zum Ende des Mahles mit einer Überraschung aufwarten wollte.
    Doch statt mit einer besonderen Speise oder mit einer neuen Schar Gaukler kehrte der Diener kurz darauf in Begleitung einer Frau zurück. Sie trug einen grauen Schleier und einen Mantel aus demselben Stoff, den keinerlei Zierrat schmückte. Während sie an dem Podium vorbeischritt, hatte Roger ausreichend Gelegenheit, sie zu betrachten. Sie war klein und füllig und hatte die Lebensmitte schon überschritten. Ihr Gesicht war nicht unhübsch, wies jedoch um den Mund herum einen harten Zug auf. Obwohl ihr Blick zu Boden gerichtet war, hielt sie sich sehr gerade.
    Als die Frau vor der Tafel, an der Heinrich von Müllenark und der Kardinal ihre Plätze hatten, angelangt war, kniete sie sich nieder. Das Stimmengewirr war, als der Diener die Frau hereingeführt hatte, erst verstummt und dann zu einem überraschten Murmeln angestiegen. Nun verstummte es erneut. Der Erzbischof schaute in den Saal, ehe er sich der Frau zuwandte. Als er zu sprechen begann, glaubte Roger, eine leichte Unruhe auf seinem geröteten, aufgedunsenen Gesicht zu bemerken. Er war sich jedoch nicht sicher, ob er sich nicht doch täuschte.
    »Ida Sterzin, Gattin des Deckenwebers Conrad Sterzin und selbst Seidenstickerin, du hast eine Anklage wegen Ketzerei vorzubringen, die ein schreckliches Vergehen gegen die göttliche und menschliche Ordnung darstellt. Sag nun hier im Angesicht des päpstlichen Legaten, des Kardinals von Trient, in meiner Gegenwart und in Gegenwart all dieser Menschen im Saal, was du vorzubringen hast.«
    Widerwillen regte sich in Roger. Er verabscheute den Wahn und das Unglück, das die Ketzereien über die Menschen brachten. Außerdem war der Kaiser der oberste weltliche Herr der Kirche, und indem sich die Ketzer vom rechten Glauben abwandten, kehrten sie sich auch von ihm ab. Dennoch verachtete Roger die Ketzerverfolgungen und die Inquisition, die die Menschen der Folter unterwarf und ihnen so Geständnisse abpresste. In der Regel gestand ein Gepeinigter früher oder später alles, was von ihm verlangt wurde.
    Mit ruhiger, ein wenig flacher Stimme begann Ida Sterzin zu reden. »Ja, ich erhebe Anklage wegen Ketzerei. Gegen die Beginen in der Stolkgasse und vor allem gegen die Begine mit Namen Bilhildis …«
    »Das ist nicht wahr! Sie lügt! Die Beginen sind fromm und gottesfürchtig.« Ein großer grauhaariger

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