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Die Buchmalerin

Die Buchmalerin

Titel: Die Buchmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sauer
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Mann, der ein kantiges Gesicht hatte, war so heftig aufgesprungen, dass sein Becher umfiel.
    Der Rücken der Seidenstickerin zuckte ein wenig, doch sie wandte sich nicht um, als der Mann aufgebracht weitersprach: »Ja, Ida Sterzin, Ihr lügt! Ihr erhebt Anklage gegen die Frauen, weil Ihr neidisch und missgünstig seid. Weil Ihr glaubt, dass sie Euren Verdienst schmälern. Erst gestern habt Ihr auf dem Markt unwahre Beschuldigungen gegen die Frauen erhoben und seid von Luitgard, meiner Nichte, zurechtgewiesen worden. Hier im Saal gibt es genug Leute, die Zeugen des Streites gewesen sind.« Der alte Mann blickte sich mit zornfunkelnden Augen um. Da und dort wurde beifälliges Gemurmel laut, Menschen nickten ihm zu. Andere wiederum schwiegen mit gleichgültigen oder abweisenden Mienen. Die beiden Bürgermeister tauschten leise Worte aus. Die Blicke, mit denen sie den alten Mann bedachten, waren nicht wohlwollend.
    Auch die Vornehmen auf dem Podium tuschelten miteinander. Sie zeigten die gleichen Reaktionen wie die Leute unten im Saal – Zustimmung, Desinteresse und Ärger. Wobei Letzteres überwog.
    »Karl Herkenrath, ich bitte Euch!« Heinrich von Müllenark hob begütigend die Hände. Seine Augenlider flatterten ein wenig, als er sich dem Mann und den anderen Gästen zuwandte. »Lasst Ida Sterzin vorbringen, was sie vorzubringen hat. Was sie sagt, wird geprüft werden. Noch ist niemand schuldig gesprochen.«
    »Ja, lasst die Seidenstickerin reden«, ergriff nun einer der Bürgermeister das Wort. Ehrerbietig neigte er das Haupt vor dem Erzbischof und vor Enzio von Trient.
    »Und ich sage, die Seidenstickerin lügt!« Karl Herkenrath starrte dem Bürgermeister aufgebracht ins Gesicht. »Luitgard hat Ida Sterzin wegen ihrer Lügen mit dem Pranger gedroht und jetzt will sie sich rächen.«
    Heinrich von Müllenark öffnete erneut den Mund. Doch Enzio, der dem Geschehen bisher wach, aber nicht sonderlich interessiert gefolgt war – jedenfalls erschien es Roger so –, legte ihm die Hand auf den Arm. Als der päpstliche Legat zu sprechen begann, war seine Stimme nicht laut, dennoch brachte er das Gemurmel im Saal sofort zum Ersterben. Mit nicht unfreundlicher Miene wandte er sich Karl Herkenrath zu. »Ihr behauptet, dass die Seidenstickerin die Unwahrheit spricht, wenn sie sagt, die Beginen seien der Ketzerei schuldig?«
    »Ja«, entgegnete der alte Mann fest.
    Der Kardinal musterte ihn mit hochgezogenen Brauen. »Nun, bisher hatten wir noch keine Gelegenheit zu hören, wie die Seidenstickerin ihre Anklage begründet. Habt Ihr etwa kein Vertrauen zu Eurem Erzbischof oder zu mir, dem der Papst das Amt des Legaten verliehen hat? Oder, wenn es zu einer Untersuchung der Vorwürfe kommen sollte, glaubt Ihr nicht, dass die Inquisition, die das Werkzeug der göttlichen Wahrheit ist, dass sie in der Lage sein wird, zwischen richtig und falsch zu unterscheiden? Seid Ihr so kleingläubig? Zweifelt Ihr an der Fähigkeit der Inquisition, die Wahrheit ans Licht zu bringen?« Der Kardinal ließ Karl Herkenrath nicht aus den Augen.
    Der alte Mann schüttelte schwerfällig den Kopf. »Nein, nein, gewiss zweifle ich die Inquisition nicht an …«
    »Nun, wenn Ihr das nicht tut, gibt es keinen Grund, warum wir uns nicht anhören sollten, was die Seidenstickerin zu sagen hat.«
    »Sicher, Herr. Aber …«
    Der Kardinal musterte Karl Herkenrath wieder nachdenklich aus seinen grauen, verhangenen Augen. »Was Ihr gegen die Seidenstickerin vorzubringen habt, könnt Ihr an einem anderen Ort kundtun. Setzt Euch jetzt und schweigt.« Langsam ließ sich Karl Herkenrath auf die Bank zurücksinken.
    Der Kardinal machte eine Handbewegung hin zu Ida Sterzin. »Frau, nun sag, was du vorzubringen hast.«
    Die Seidenstickerin richtete ihren Rücken noch ein wenig gerader auf und hob den Kopf. »Die Beginen, vor allem die Begine namens Bilhildis, sprechen über das Geheimnis der Heiligsten Dreifaltigkeit. Sie behaupten, sie könnten erklären, wie es komme, dass es Gott Vater, Sohn und den Heiligen Geist gibt. Und die Begine Bilhildis sagt von sich gar, sie könne das Geheimnis der Dreifaltigkeit schauen. In ihren Visionen lasse Gott sie an diesem Geheimnis teilhaben.«
    »Aber an dem, was die Begine Bilhildis sagt, ist nichts Falsches. Es ist rein, wie auch ihre Seele. Ich und einige meiner Brüder haben sie geprüft.« Am unteren Ende eines der Tische hatte sich ein ältlicher, kahlköpfiger Mann erhoben, der die Kutte der Dominikaner trug. Sein faltiges

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