Die Bucht des grünen Mondes
ich beginne mich danach zurückzusehnen. Die Menschen dort waren jedenfalls nicht so scheußlich wie du.»
«Ach? Was gefällt dir an diesen Indianern? Barbarische Horden, die sich im Blut wälzen!
Das
hat dir gefallen? Ja? Ich hörte, dass sie ihre Neugeborenen erwürgen. Stimmt das auch?»
«Auch das», fauchte sie. «Alle hässlichen Sachen, die du dir genüsslich ausmalst, sind wahr. Das willst du doch bloß hören!»
«Ich gehe jetzt», donnerte er auf sie herab. «Sonst weckst du noch das ganze Haus auf mit deinem Gekreische!»
Und so marschierte er hinaus, nicht ohne die Tür heftig ins Schloss fallen zu lassen. Noch lange, wohl eine Stunde, stand Amely da, ohne sich zu rühren. Als sie es tat, meinte sie, die Glieder einer alten Frau zu haben. Sie kroch auf ihre Seite des Bettes und deckte sich mit dem duftenden Laken bis über beide Ohren zu. Nun wusste sie wieder, weshalb sie dieses Haus seit über einem Jahr nicht vermisst hatte.
2. Kapitel
Sie blieb den ganzen nächsten Tag auf ihrem Zimmer. Keinesfalls wollte sie ihm begegnen. Auch nicht dem Gesinde, vor dem sie sich zu Tode schämte. Bestimmt hatte Bärbel geschwindelt, und kein Mensch hatte sie vermisst, die überspannte Gattin des strengen Hausherrn, die sowieso nur stritt oder heulte.
Diesmal heulte sie nicht. Und Bärbel gegenüber, die sie mit Kaffee und Berliner Pfannkuchen versorgte, gab sie sich gelassen. Am Abend brachte Bärbel einen in Seide eingeschlagenen Gegenstand, der mühelos als Geigenkasten erkennbar war. «Der Herr wünscht zu sagen, dass Sie ihm nicht böse sein sollen», sagte sie. Amely legte das Geschenk auf den Schreibtisch und packte die neue Geige aus. Die verschiedensten Gedanken kamen ihr in den Sinn:
Irgendwann hab ich zehn Stück davon. Wenigstens hat er mich dieses Mal nicht geschlagen. Niemals werde ich ihm sagen, dass Ruben lebt. Er hat es nicht verdient
.
Zwei Karten lagen auf der Violine.
La Bohème
, las Amely.
Die neue Oper von Giacomo Puccini. Das Teatro Amazonas freut sich, in der Rolle des Poeten Rodolfo das junge aufstrebende Talent Enrico Caruso präsentieren zu dürfen
… Sie reichte Bärbel die Karten. «Du kennst doch sicher einen netten jungen Mann, mit dem du hingehen kannst.»
«O ja, er ist … Aber Frollein! Ich kann doch unmöglich ins Theater gehen. Herr Wittstock wird mir den Marsch blasen, dass mir die Ohren bluten. Er ist doch sowieso wieder auf Krawall gebürstet. Nee, nee, det jeht nich’.»
«Und ob det jeht. Sind ja schließlich keine Namen auf den Karten, und geschenkt ist geschenkt.»
«Ick habe ja janüscht zum Anziehen. Und mein Techtelmechtel schon mal gleich gar nicht.»
«Das dürfte das kleinste Problem sein. Und jetzt genug davon; ich habe keine Lust auf junge aufstrebende Tenöre. Pack die Geige weg.»
Das Instrument war aus einem der besten Geigenbauhölzer geschaffen, schönem roten Brasilholz. Es musste Kilian ein kleines Vermögen gekostet haben, diese Violine so schnell zu beschaffen.
Eben so, wie man einen Knaben zum Bäcker schickt, eine Schrippe zu holen
, dachte sie säuerlich.
Bärbel schob den Geigenkasten unter das Bett, brachte dann noch eine Butterstulle und frisches Guaraná und zog sich zurück. Unten kreischten die Aras, und Amely dachte, dass Herr Oliveira sie mit nützlichem Wissen überhäuft, ihr aber niemals erzählt hatte, dass der Ara so hieß, weil sein Ruf so klang. Auf dem Schreibtisch lag ihr Gebetbuch, wie eine Mahnung. Das schlechte Gewissen wegen all der vergessenen Gebete und verpassten Gottesdienste meldete sich. Wenigstens hatte sie sich niemals auf den Götzenkult eingelassen.
Lieber Gott, ich gehe wieder in die Kirche. Bitte, lass es gut ausgehen für Ruben und mich und die Yayasacu
. Da war die Schublade, in der Madonnas Revolver gelegen hatte. Sie riss sie auf, fand noch eine Patrone im hintersten Winkel, legte sie zurück und schloss die Lade.
Dieses Gedankenkreisen musste ein Ende haben. Sie beschloss, ins Bett zu gehen. Tief atmete sie auf, als sie aus den Stoffmengen heraus war und die Schließe des Korsetts öffnete. Es drückte so heftig gegen den Bauch, dass es Mühe machte zu atmen. Langsam schob sie das Unterkleid hoch.
Wie anders hatte sie ausgesehen, beim letzten Blick in den Spiegel des Toilettentisches. Hell und weich, nicht so braun gebrannt wie eine Südländerin und nicht so dünn über ausgeprägten Muskeln und Sehnen. Schön war das nicht! Sie stellte sich seitlich und strich sich über den Bauch. Der war
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