Die Bucht des grünen Mondes
unter sich begraben und ihr Nachthemd hochgezerrt. Und ganz wie früher, wenn er sich auf ihr abarbeitete, sah er nicht näher hin. Er würde niemals die kleine Tätowierung in ihrem Schritt entdecken. Sie setzte sich auf, verbarg wieder den Tukan, prüfte ihre Pantoffeln und schlich sich auf den Balkon hinaus. Sorgsam schloss sie die Tür hinter sich. Endlich, endlich konnte sie durchatmen. Sie legte die Hände auf die Brüstung und ließ die Haare vom Wind aufwirbeln. Und da kam er, der ersehnte Regen, wie so oft ganz plötzlich. Wenn er nun so stark wäre wie damals im Dorf? Dieses albern bunte Haus wegspülte? Die ganze monströse Stadt? Der Wald würde sich der Ruinen bemächtigen; starke Stützwurzeln gewaltiger Baumriesen und die gierigen Luftwurzeln der Würgefeigen würden alles überwuchern. Und dann kämen die Ava zurück und holten ihre verlorenen Brüder … Doch der Regen endete so schnell, wie er gekommen war. Und in der Ferne leuchteten weiterhin die Gaslampen der Stadt, unter denen die heruntergekommenen Indios schliefen.
Das durchnässte Nachthemd ließ sie frösteln. Sie wollte ins Bad, sich dort rasch trocknen und dann in den Morgenmantel schlüpfen. Als sie die Hand auf den Türgriff legte, sah sie Licht durch die Lamellen schimmern. Sie hatte gehofft, er werde schlafen, aber – nun gut. Vielleicht war jetzt der rechte Zeitpunkt zum Reden. Sie musste es ja tun. Auch wenn Ruben dann ihr Stiefsohn und für sie auf ewig verloren wäre.
Der Entschluss machte es ihr fast unmöglich, die Tür aufzudrücken.
Noch ist er mein Geliebter, noch, noch
…
ach, lieber Gott, könnte ich doch Jahre hier draußen verweilen
.
Kilian stand vor dem Bett, im Begriff, sich seinen Hausmantel überzuwerfen. Er stutzte, als er sich den Kragen richtete, als habe er mit ihrem Erscheinen gar nicht gerechnet.
«Du bist ja ganz nass.» Er klang verlegen. Als wüsste er, nun, da das rührselige Wiedersehen vorbei war, nichts mehr mit ihr anzufangen.
«Willst du weg, Kilian?»
«Ich darf mich doch aus meinem eigenen Schlafzimmer entfernen?»
«Es war nur eine Frage.»
«Damit das gleich geklärt ist, Liebes: Ich pflege hin und wieder in Consuelas Zimmer zu gehen. Nun sieh mich nicht so an! Du hast doch nicht tatsächlich geglaubt, ich würde über ein Jahr wie ein Jesuitenmönch leben? Aber hier in unserem Bett war sie nie, und du kannst dich darauf verlassen, dass du nichts mitbekommen wirst. Ich nehme ja doch an, dass du nach deiner schrecklichen Zeit bei den Wilden auch erst einmal deine Ruhe haben willst? Falls ich dir vorhin weh getan habe, tut es mir leid …»
Er hatte ihr nicht weh getan. Er hatte auf ganzer Linie versagt.
Also Consuela
, dachte sie nüchtern.
Meinetwegen, solange es nicht Bärbel ist. Konntest du bei mir nicht, weil ich jetzt zu sehr den von dir so verhassten Wilden ähnele?
«Mach mir keine Vorwürfe, Amely-Liebes, ja? Ich muss auch erst damit zurechtkommen, dass du aus heiterem Himmel wieder vor der Tür stehst.»
Sie hatte ja gar nicht vor, ihm Vorwürfe zu machen. Wie könnte sie, da sie ihn mit seinem Sohn betrogen hatte?
Heftig schnürte er den Gürtel um die etwas schmaler gewordene Leibesmitte und stapfte auf sie zu. «Nun schau nicht so entgeistert! Dass ein Mann zu anderen Frauen geht, ist etwas völlig Normales.»
«Wenn du meinst», sagte sie. «Ich will mich nicht mit dir darüber streiten.»
«Sogar dein Vater tut das, also!»
«Was?», krächzte sie. «Ganz bestimmt nicht.»
«Doch, Liebes, doch; ich war dabei – als ich in Berlin um deine Hand anhielt. Dort stehen ja nicht umsonst die leichten Mädchen an jeder Ecke, und jede Schreibdame im Kontor ist bereit, die Röcke zu heben. Das ist bei
Wehmeyer & Sohn
auch nicht anders. Warum, glaubst du denn, lässt man Höhere Töchter nur mit Anstandsdame aus dem Haus? Damit ihr die Männer keine unzüchtigen Angebote machen!»
Nicht an ihren Vater dachte sie in diesem Augenblick, sondern an Julius, den lieben Schreibtischtäter, den Mann, der immer so unschuldig seine Brille hochschob. Niemals, niemals wäre er … Und wenn er etwas Derartiges beobachtet hätte, so hätte er doch einmal davon erzählt? Wenigstens angedeutet?
«Du hast recht, ich weiß nichts darüber!», rief sie. «Ob es stimmt oder nicht, aus deinem Mund kommt nur Schmutz!»
«Dann ist es ja nicht so schlimm», erwiderte er süffisant. «Du warst das letzte Jahr schließlich reichlich Dreck und Schlamm gewöhnt, stimmt’s?»
«Das stimmt, und
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