Die Bucht des grünen Mondes
eine Krankheit die Mutter. Sie war schon immer schwach gewesen. Zu schwach für Kilian Wittstock.
Der Tod ist auffällig oft im Haus meines Vaters … und ich habe Amely dorthin zurückgehen lassen
.
Ein heißes Gefühl der Angst wallte über ihn hinweg, als er daran dachte, wie lange es noch dauern würde, bis der Einbaum fertig war. Und der Weg nach Manaus zurückgelegt. Aber nicht nur die Furcht drängte ihn. Er wälzte sich auf dem nassen Boden, die Hand in den Hüftschnüren.
«Ich danke dir, Padre José. Ich würde dir gerne etwas geben für deine Hilfe, aber …»
«Ach, lass nur, mein Sohn», der Padre winkte ab. «Es geschah
ad majorem Dei gloriam,
zur größeren Ehre Gottes. Aber dass du mir den Jungen nimmst – nun ja, er geht, wie alle Indios gegangen sind.»
Cristobal kam aus Teresas Hütte gelaufen, wo er sich von ihr verabschiedet hatte. Unter dem Arm trug er das kleine Bündel seiner Habseligkeiten.
«Cristobal, mein Sohn», Padre José legte eine Hand auf die Schulter des jungen Ava und blickte ihn ernst an. «Pass auf dich auf. Erliege nicht den Verlockungen des Stadtlebens. Wenn du Hilfe brauchst, wende dich an meinen Orden; dort bekommst du wenigstens zu essen.»
«Ich werde es schon schaffen», erwiderte Cristobal inbrünstig. «Außerdem muss ich ja mit Ruben gehen, weil er sonst nicht den Weg zum Weißen Fluss fände.»
Allein dies war der Grund, weshalb Ruben dem Drängen des Jungen, ihn begleiten zu dürfen, nachgegeben hatte. Der Einbaum wartete bereits im Igarapé, beladen mit ein wenig Proviant, einem Bogen, den sich Ruben gefertigt hatte, dazu Pfeile und eine Harpune. Auch zwei Paddel hatten sie sich geschnitzt. Sie schöpften das eingeregnete Wasser heraus, stiegen in das Boot und hockten sich; Padre José löste das Seil, das es an einem Baum hielt.
«Grüße Wittstock von mir, mein Sohn», rief er.
«Ich bin sein Sohn», erwiderte Ruben. «Nicht deiner.»
Padre José lachte. «Du hast mich die ganze Zeit ‹Vater› genannt, hast du das nicht gewusst?»
Stunde um Stunde ging der Weg durch verschlungene Wasserwege, Regen und Sonne wechselten sich ab. Als sich der Bug in das milchigbraune Wasser des Weißen Flusses schob, reckte Cristobal stolz die Faust. Ruhig legte Ruben das Paddel ins Boot. Ebenso ruhig zog er sein Messer, stieg zu ihm vor und legte von hinten den Arm um seinen Hals. Die Klingenspitze drückte gegen Cristobals Wange.
Der Junge erstarrte vor Schreck. Sein Paddel fiel ihm auf den Schoß.
«Ganz ruhig, ich tue dir nichts. Sofern du jetzt in den Fluss springst. Ich denke, du kannst es bedenkenlos tun; er macht einen ungefährlichen Eindruck. Gehorchst du nicht, töte ich dich. Und glaube mir, ich werde es tun.»
«Aber ich will doch in die Stadt!»
«Nein!» Ruben packte ihn an der Schulter und zerrte ihn zu sich herum. Die Faust um den Stoff des Jutehemdes, schüttelte er Cristobal. «Glaubst du, ich will dich dort sehen, wie du im Rinnstein sitzt, besoffen und halb verhungert, die Geier nagen schon an deinen Beinen, und eine Pferdekutsche rollt über dich hinweg? Das geschieht dort mit einem ahnungslosen Ava wie dir.»
«Das … das glaube ich nicht.»
«Ich habe es selbst gesehen!»
«Mir wird das nicht passieren», heulte Cristobal. Überraschend schnell hob er sein Paddel und schlug es gegen Rubens Schläfe. Der blinzelte den Schmerz fort und gab ihm mit der Faust einen so heftigen Schlag ins Gesicht, dass die Nase zu bluten begann. Dann stieß er ihn rücklings über die Bootswand. Strampelnd kam Cristobal an die Wasseroberfläche; seine Hände fuchtelten in der Luft und fanden die Bootskante. Nach Luft schnappend, wollte er sich hochziehen. Ruben stieß ihm die Klingenspitze in die Hand. Schreiend ließ er los. In gebührender Entfernung schwamm er neben dem abtreibenden Boot her.
«Tupan möge dich verfluchen», schluchzte er, Blut spuckend. «Nein, der Teufel!»
«Das hat er wohl schon vor langer Zeit. Geh zurück zu Padre José!», rief Ruben über die Schulter. «Ohne dich wird er hier sowieso nicht mehr lange überleben.»
Er stieß das Paddel ins Wasser und schob den Einbaum in die Strömung.
Zum zweiten Mal würde er also nach Manaus zurückkehren. Und doch wäre es das erste Mal – er kam als ein Mann mit Erinnerungen. Heute wusste er, wie der Igarapé hieß, der zum Haus seines Vaters führte. Wie das Haus hieß. Wie es roch und lärmte. Wie der Donnerhall des Vaters alles zum Verstummen bringen konnte, selbst die Aras
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