Die Bucht des grünen Mondes
gemeint, als du sagtest, du wollest ihm Einhalt gebieten?»
«Es war eine dumme Idee.»
«Und was wolltest du jetzt tun?»
«In den Wald laufen. Dich suchen.»
Notfalls sterben dabei
, dachte sie, sprach es aber nicht aus. «Irgendwie hätte ich mich schon durchgeschlagen.»
Seine Augen weiteten sich. «Tupan sei Dank, dass ich herkam! Amely,
das
war dumm. Du glaubst, du seist eine Ava-Frau, weil du kräftig rudern kannst, aber du bist es nicht.»
«Jaja, du hast ja recht. Und du? Du bist allein. Was ist mit dem Stamm?»
Obwohl er es unterdrückte, spürte sie doch, wie er sich kurz versteifte, als fahre ein Leid in ihn. Er sah aufs Wasser hinaus. «Viele sind tot. Und wo der Rest ist, weiß ich nicht. Aber ich werde sie finden.»
«O Gott, Ruben.» Tot, tot? Wie … Aber sie ahnte ja, was geschehen sein musste. Jetzt war nicht die Zeit, darüber zu reden.
«Ich bin gekommen, dich meinem Vater zu entreißen», sagte er. «Auch ein ziemlich törichtes Ansinnen, nicht wahr?»
«Das musst du ja jetzt nicht mehr. Aber weißt du, dass alle glauben, ich sei übergeschnappt?»
«Das hat mein Volk von mir auch immer geglaubt.»
«Und, sind wir’s?»
«Wenn es alle sagen …», er grinste. Sie konnte nicht anders, sie musste,
musste
diesen schönen Mund küssen. Wie ganz ohne eigenes Zutun nahmen ihre Arme ihn gefangen. Und er umschlang sie so fest, dass sie sich von seiner Wärme umhüllt fühlte. Nun erst wieder, da seine Zunge damit spielte, spürte sie ihren kitzelnden Goldtropfen. Ein Regenschauer ging auf ihre Haut nieder – doch ein Blick in die grünschimmernde Kuppel der Bäume verriet ihr, dass die Luft trocken war. Der Schauer durchschwamm ihren ganzen Leib. Machte sie weich, dass sie zu Boden sinken und sich Ruben überlassen wollte. Noch hielt er sie. Noch …
Ein Ruck ging durch ihn. An den Schultern schob er sie von sich. Bevor sie etwas sagen konnte, hatte er warnend den Finger an den Mund gehoben. Um sich blickend, griff er nach seinem Bogen, den er stets nah bei sich ablegte, und einem der gefiederten Pfeilschäfte, die aus dem Köcher ragten. Amely lauschte. Doch aus dem Rauschen und Pfeifen und Rascheln des Dschungels vermochte sie kein Geräusch herauszufiltern, das nicht dorthin gehörte. Langsam stemmte sich Ruben hoch. Auf seiner Miene spiegelte sich Ärger über sein schlechtes Gehör, während er den Kopf hin und her drehte.
Dann hielt er still und spannte den Bogen.
«Geh hinter mich», raunte er ihr zu.
Amely tat es auf allen vieren. Sie langte nach dem Blasrohr an Rubens Hüftschnüren und riss es ab. Die Gefahr war kein Tier, das ahnte sie. Und als sie die Stimme hörte, war ihr, als hätte das alles so kommen müssen.
«Lass den Bogen fallen, Indio! Ich ziele auf dich!»
«Wer ist das?», fragte Ruben leise.
«Felipe da Silva Júnior», keuchte sie. «Der Mann, der auf dich schoss, am Igarapé deines Vaters.» Gott im Himmel, wie war er auf ihre Spur gekommen? Hatte Miguel sie etwa verraten? Nein, das mochte sie nicht glauben.
Auf den Knien richtete sie sich hinter Ruben auf. «Der Indio ist Ruben Wittstock!», schrie sie. «Hören Sie, da Silva?» Felipe musste es hören, musste begreifen; vielleicht weckte es seine Hemmung. «Ruben Wittstock. Ruben Wittstock, der Sohn Ihres Herrn!»
«Ich sehe nur einen Indianer, Senhora», kam es zurück. Zu erkennen war nach wie vor nichts von ihm. «Und Sie wissen so gut wie ich, wie mein Herr darüber urteilt, wenn ich ihm sage, dass ich einen Indio getötet habe. Und jetzt gehen Sie zur Seite!»
«O nein, nein, das tue ich ganz bestimmt nicht!» Ihre Stimme wollte sich vor Furcht überschlagen. Besser wäre es,
vor
Ruben zu treten. Während sie noch dachte, dass ihr die Knie viel zu sehr zitterten, stand sie auf den Beinen und stellte sich vor ihn.
«Amely», zischte Ruben. «Was soll das?»
Sie rührte sich nicht vom Fleck. Allerdings mochte sie nicht daran denken, dass da Silva trotz seiner Warnung imstande war, auch auf sie zu schießen. Sie war geflohen – niemand würde je davon erfahren.
Sie ahnte mehr, als dass sie es sah, wie die Pfeilspitze ihren Kopfbewegungen folgte. Ruben konnte es nicht wagen, auf gut Glück zu schießen; der Pfeil wäre vergeudet, dazu die Zeit, den nächsten anzulegen. Als ehemaliger Seringuero wusste Felipe, wie man sich lautlos bewegte. Vielleicht stand er längst woanders.
«Hat Miguel mich verraten?», rief Amely ohne große Hoffnung, dass er seinen Standort verriete.
Voraus raschelte
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