Die Bucht des grünen Mondes
beiseite und griff nach einer Axt. Keine, um Schädel zu spalten, sondern um Bäume zu fällen. Sie war in einem beklagenswerten Zustand. Er ging in eine der Hütten, wo Padre José nach Art der Ava seine Werkzeuge an Schnüren und in hängenden Körben aufbewahrte. In der wie ein Kokon geschlossenen Hängematte rasselte Teresas Atem. Ihre dürren Finger krabbelten spinnengleich durch den Spalt, als er in den Körben suchte; dann schob sich ihr verunstalteter Schädel ins Freie. Sie riss den Mund auf; ihre Zunge strampelte in der Luft. Hatte sie mit ihrem Verstand auch ihre Stimme verloren? Ihr lautloser Schrei, ihre weit aufgerissenen Augen verrieten grenzenlose Furcht. Sie sah nicht seine Falkentätowierungen, nicht seinen indianischen Halsschmuck mit der Tukanfeder, den einzigen, den er nicht verloren hatte. Auch nicht die Knochennadeln in seinem Ohr. Allein auf seine blonden Haare starrte sie, und als er sich über sie neigte – um sie zu beruhigen –, warf sie sich mit einem verzweifelten Krächzen herum und rollte sich wieder ein.
Er fragte sich, ob sie je zuvor einen Mann mit hellem Haar erblickt hatte. Und wer er gewesen war und was er getan hatte.
Schließlich fand er den Wetzstein und ging nach draußen. Padre José schlurfte ins Steinhaus, wie er es nach jedem Sonnenuntergang und an jedem Morgen tat. Dann läutete er die scheußlich klingende Eisenglocke unter dem Giebeldach.
Wer ist hier irr?
, dachte Ruben. Er wusste durchaus, welchem Zweck das Getöse diente. Aber wer sollte es hören?
Was Cristobal tat, wirkte ebenso sinnlos: Er befreite den Platz mit einem Reisigbündel von herangewehtem Laub und Nussschalen, die Madalena hinterlassen hatte. Sorgfältig wischte er um das alte Kreuz herum, das an die Kirchenwand gelehnt stand. Padre José hatte sich noch nicht entschieden, ob er ihm einen Platz in seiner Kirche einräumen oder es doch dem weiteren Zerfall preisgeben solle.
«Cristobal, hol deine Axt», rief Ruben.
Sofort ließ Cristobal den Besen fallen, hastete in seine Hütte und kehrte mit einer Axt zurück. Noch ein Blick zu seinem Herrn, ob kein Einwand kam; doch Padre José war wieder ins grölende Gespräch mit dem Postboten aus Boa Vista versunken.
«Hast du dir je einen Einbaum gemacht?», fragte Ruben.
«Ich habe meinem Vater geholfen.»
«Gut. Du kannst auch mir helfen; ich möchte mir einen hauen. Und du weißt besser als ich, wo hier ein geeigneter Baum zu finden ist.»
«Du willst wieder gehen?» Der junge Mann, der ihm kaum bis zur Schulter reichte, eilte neben ihm her. Er klang beinahe enttäuscht.
«Hast du gedacht, ich bleibe hier und beschäftige mich für den Rest meines Lebens damit, die Läuse in Josés Haar zu zählen? Willst du das denn auf ewig tun? Sehnst du dich nicht danach, eine Frau zu finden?»
Unter dem Kupferton seiner Haut errötete Cristobal. «Manchmal denke ich, wie es wäre, mit Amaral nach Boa Vista zu gehen. Zu arbeiten dort, mir ein kleines Haus zu kaufen und …», er stockte, grübelte. «Aber geheuer ist mir der Gedanke nicht.»
«Du tust recht daran, dich zu fürchten», sagte Ruben hart. Cristobal riss den Mund auf, als wolle er den Vorwurf der Angst nicht auf sich sitzen lassen. Doch er schwieg. Er führte Ruben durchs Unterholz, unter mannshohen Farnen hindurch, zu einem kleinen Bach, über dem ein umgestürzter Brasilholzbaum lag. Die Wurzeln anderer Bäume hatten ihn bereits in Besitz genommen. Ruben stapfte ins kniehohe Wasser, riss einige Schlinggewächse und Spinnweben von der dornigen Rinde und verscheuchte eine harmlose Schlange, die es sich in einer Astgabel bequem gemacht hatte. Ein
Morpho menelaus
flatterte aufgeschreckt vor seinen Augen herum. Er fing ihn, betrachtete das filigrane Gebilde in der Hand.
«Was ist so schlimm in der Stadt?», wollte Cristobal wissen.
Rubens Hand ruckte hoch; der Schmetterling flog fort. «Hat Amaral dir nichts darüber erzählt?»
«Nein.»
Innerlich seufzte er. Er hob die Axt und ließ sie auf einen dicken Lianenstrang niedersausen, der den Stamm in seiner Umklammerung hielt. Es würde Tage brauchen, allein den Baum von all dem Gestrüpp und Getier zu befreien, das sich seiner bemächtigt hatte. «Such deine Frau im Wald, Cristobal. Such einen Stamm, der dich aufnimmt. Vielleicht wirst du dabei umkommen, aber dann bist du mit Stolz gestorben.»
Der Junge wirkte in sich versunken, bevor er endlich mit anpackte. Weshalb ein Mensch, der auf dem Fluss geboren war und dort sein junges Leben
Weitere Kostenlose Bücher