Die Bucht des grünen Mondes
verbracht hatte, frei und ungebunden und nur der Strömung des Wassers unterworfen, in eine Stadt der
Anderen
wollte, war Ruben ein Rätsel. Sie lockte, wie das Licht die Mücken, und verschlang jeden, der nicht aufpasste.
Er wollte nicht in die Stadt. Aber er musste.
7. Kapitel
Die Arbeit ging ihm gut von der Hand, trotz des ständigen Regens. Padre José hatte nichts dagegen, dass der Junge half. Aber begreifen konnte er nicht, weshalb Ruben sich plagte, einen Einbaum zu fertigen. «Mein Sohn, du könntest es doch wirklich einfacher haben: Du fährst mit Amaral nach Boa Vista, suchst dir irgendeine Arbeit, die dir genügend Geld einbringt, dass dich jemand mitnimmt nach Manaus. Vielleicht findest du auch einen, der deine Geschichte glaubt und dir ein paar Réis leiht. Dein Vater würde die milde Gabe sicher reichlich entlohnen, wenn er den verlorenen Sohn wieder in die Arme schließen kann. Wie in der Geschichte aus dem Evangelium des Lukas wird er ein Fest geben, dass es deine Brüder neiden wird. Falls du welche hast. Falls das Ganze überhaupt stimmt!»
Aus Kutte und Zotteln triefend, umrundete er den Bauplatz, die Hand über der Pfeife. Der Stamm lag nach wie vor über dem Bach, denn um ihn zu bewegen, hätte es mindestens eine Handvoll Männer gebraucht. Und weder Padre José noch Amaral wollten für diese Narrheit, wie sie es nannten, einen Finger krumm machen. Ruben war es recht so, konnte er doch ohne das Geplapper des Padres seinen Gedanken nachhängen. Der redefaule Cristobal störte ihn nicht weiter. Der junge Ava zeigte mit Hingabe und Geschick das Erbe seines verlorenen Volkes und glättete die bereits herausgehauenen Wände des zukünftigen Bootes. Zu diesem Zweck hatte er die Klinge eines Messers krummgeschlagen und im Feuer gehärtet. Auch schlug er Steine, sodass sie eine harte Kante aufwiesen, und behalf sich mit Knochen und Sand.
«So eifrig möchte ich dich sonst bei der Arbeit sehen», schimpfte Padre José im Fortgehen. Und zu Ruben gewandt: «Amaral fährt morgen in aller Frühe ab, er will zurück in seine trockene Stadt. Du hast also noch eine Nacht Zeit, über dein nutzloses Tun zu schlafen.»
Ruben hatte durchaus überlegt, mit Amaral zu gehen. Aber der Gedanke, ihn auf dem Weißen Fluss über Bord zu werfen, um das Dampfboot an sich zu bringen und nach Süden zu fahren, behagte ihm nicht. Zumal er nicht wusste, ob er mit dem Boot zurechtkäme. Und ob er damit, wenn er am Hafen der Eisenbahnarbeiter vorbeifuhr, unentdeckt bliebe.
Er hatte Amelys drängenden Wunsch erfüllt, sich nicht den Ambue’y zu stellen. Er hatte ihr gesagt, dass er den Vater im Wald begrüßen wolle. Sonst nirgends. Aber wo sollte das geschehen? Er war ohne Stamm, heimatlos. Selbst wenn sich ein Ort fände, den auch sein Vater fände – was sollte das sein? Eine Lichtung im Wald, eine armselige Hütte, ein erbärmliches Nest wie diese Siedlung hier? Und er selbst, empfinge er den Vater heruntergekommen und dem Wahnsinn nahe wie Teresa?
Nein. So nicht.
«Willst du dem Boot einen Namen geben?», wollte Cristobal wissen. Auf Rubens erstaunten Blick erklärte er: «Die
Anderen
tun das. Amarals Boot heißt
Quero namorar com você, Luisa
. Es heißt …»
«Ich weiß, was das heißt.» Es war eben das, was er mit Amely tausendmal getan hatte und tausendmal wieder tun wollte. «Und ich habe ganz vergessen, dass ich selbst eine kleine rotlackierte Gaiola besaß, der ich irgendeinen Namen gab; ich weiß ihn nicht mehr. Ich werde den Einbaum
Amely
nennen.»
«Amely», murmelte Cristobal. Er beugte sich wieder über seine Arbeit, und Ruben fuhr fort, mit der Axt auf das rötliche Brasilholz einzudreschen und sich den Regen aus dem Gesicht zu wischen. Schweigend arbeiteten sie nebeneinanderher. Die Glocke schepperte länger als gewöhnlich, was bedeutete, dass Padre José zu einem Anbetungsritual seines Gottes rief. Cristobal raffte seine Werkzeuge zusammen und trottete in Richtung des Dorfes; derweil Ruben arbeitete, bis er vor Erschöpfung neben dem Boot hinsank.
Vielleicht sollte er es nach einem seiner Brüder benennen. Nach Gero. Unwillentlich hatte Amely ihm verraten, dass Gero und die Mutter tot waren, als sie es ihm ins Ohr geflüstert hatte, im Glauben, er höre es nicht. Doch er hatte es bruchstückhaft verstanden.
Wie mochten sie gestorben sein? Auch für einen gesunden, starken Jungen wie Gero gab es viele Möglichkeiten, zu Tode zu kommen. Vielleicht hatte ihn die Malaria dahingerafft. Vielleicht
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