Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Bucht des grünen Mondes

Die Bucht des grünen Mondes

Titel: Die Bucht des grünen Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
Vom Netzwerk:
Wald hervorbrechen zu sehen. Ein Gesicht über ihm – einen Herzschlag später war er auf den Füßen, in der Hand das Schnitzmesser. Die Klinge drückte gegen die Kehle Cristobals, dem augenblicklich der Angstschweiß aus allen Poren quoll.
    «P-Padre José hat – hat gesagt, dass ich dich wecken soll», stotterte er. «Amaral ist da.»
    Wortlos nahm Ruben die Klinge herunter und schritt in Richtung des Igarapés. Ein Dampfkutter hatte an einer ins Wasser ragenden Palme festgemacht. Soeben nahm Padre José über die Bordwand hinweg einen klirrenden Holzkasten in Empfang. Das vertraute Geräusch verriet Ruben, dass es sich um Ginflaschen handeln musste. Amaral, ebenso zottelig und dürr wie José, starrte Ruben an. Er pfiff durch die schlechten Zähne.
    «Wer ist denn der, Padre?»
    «Ein Gast. Komm schon, wo bleibt die Post?»
    Aus der Hemdtasche fischte Amaral ein paar aufgeweichte Umschläge, die Padre José in seiner Kutte verstaute. Als Nächstes nahm er einen Stapel bedruckter Blätter in Empfang.
Zeitungen
, dachte Ruben. José studierte flüchtig das Titelblatt eines
Jornal do Boa Vista
. «Die werden ja immer älter, Amaral. Früher hast du mir welche gebracht, die nur zwei Monate über der Zeit waren, aber in die hier hat ja schon Christoph Kolumbus seine Obstschalen eingewickelt!»
    «Ja», brummte Amaral unbeeindruckt. «Da ist anscheinend die letzte Kollekte des Jesuitenklosters, das dich versorgt, etwas mager ausgefallen. Für Tabak reichte das Geld gar nicht mehr.»
    «Keinen Tabak?» Padre José war sichtlich entsetzt. «Was soll denn das! Muss ich auch noch den Tabak selber anbauen? Geiz ist eines der sieben Laster, verdammt!»
    Ruben nahm die oberste Zeitung von dem dünnen Stapel.
Lei Áurea
, stach ihm ein vertrautes Wort ins Auge. Über das Gesetz zur Abschaffung der Sklaverei hatte sein Vater leidenschaftlich gestritten. Und nun stellte er fest, dass es längst in Kraft war. Aber es sah Kilian Wittstock ähnlich, sich nicht darum zu scheren. Wer wusste, wer fragte schon, was mit den Ava tief in den Wäldern geschah? Es war Gesetz, dass dem ein Stück Land gehörte, der es für sich in Besitz nahm, sofern niemand dort lebte. Da galt ein Ava so viel wie ein Tier. Erstaunt stellte Ruben fest, dass Kaiser Pedro  II . längst gestürzt worden war. Brasilien war eine Republik.
    Amaral sprang über die Reling, in der Hand ein Netz mit zwei streng riechenden Fischen. «Hab ich heute früh erst gefangen», erklärte er. Naserümpfend nahm José sie in Empfang und warf sie Cristobal in die Arme.
    «Ich hab noch nie einen zeitunglesenden Indianer gesehen», staunte Amaral. «Ich kenne nicht einmal einen Caboclo, der das kann.»
    «Weißt du, wer Kilian Wittstock ist?», fragte Ruben.
    «Ja, das ist einer von den Kautschukbaronen.»
    «Hast du je davon gehört, dass seine vermisste Frau zurückgekehrt ist?»
    Amaral lachte und entblößte drei Zahnstummel, die schwarz von Kautschuk waren. «Klatschgeschichten über die Tollheiten stinkreicher Leute interessieren mich nicht, denn davon werde ich nicht satt. Ich kann dir höchstens berichten, dass man Wittstock einen Abenteurer nennt, weil er eine Eisenbahnlinie quer durch den Dschungel baut.»
    «Warum interessiert dich denn der?», wollte Padre José von Ruben wissen.
    «Nun, weshalb soll ich es dir nicht sagen – ich bin sein Sohn.»
    «Padre, dein Gast ist ein Irrer», murmelte Amaral.
     
    Die beiden Männer hockten am Kochfeuer, aßen die Piranhas, die Cristobal in einer löchrigen Pfanne gebraten hatte, schütteten den Gin in sich hinein und rauchten, dass der Qualm sie einhüllte. Glühwürmchen tanzten in der rasch hereinbrechenden Dämmerung, die Zikaden lärmten, die Moskitos hielten sich vom Rauch fern und quälten Ruben, der abseits über dem Hocker saß und sein Schnitzwerk vollendete. Es war keine beeindruckende Arbeit; in seinem Stamm hätte niemand ihn darum gebeten. Aber es half, sich zu entspannen. Die alte Schusswunde an der Hüfte war verstummt, und die neue an der Schulter schmerzte nur noch leicht. Endlich hatte er das Gefühl, seinem Körper wieder vertrauen zu können. Noch drei, vier Tage, und er wäre bei vollen Kräften.
    In drei Tagen wollte Amaral wieder zurück. Er scherte sich nicht darum, wie Ruben aussah und was er trug. Oder nicht trug.
Ist mir egal, wer du bist
, hatte er gesagt.
Wenn du willst, nehm ich dich mit
 –
für die Halskette mit der schönen Tukanfeder, die du trägst
.
    Ruben legte das Schnitzmesser

Weitere Kostenlose Bücher