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Die Bucht des grünen Mondes

Die Bucht des grünen Mondes

Titel: Die Bucht des grünen Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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schlug mit der Faust auf den Tisch.
    Amely hatte von den Plänen zur Ausbeutung eines anderen Waldes gehört, der sich jedoch so weit abseits des Flusses befand, dass eine Erschließung nur lohnte, indem man eine Eisenbahnstrecke dorthin baute. Ein gewagtes Unterfangen. «Aber gibt es dort nicht auch Indianer, die Schwierigkeiten machen werden?»
    «Die sind überall im Weg», er winkte ab. «Dieses Mal werden sie keine Gelegenheit bekommen, den Wald vorher niederzubrennen.»
    Amely ahnte, was das hieß. Nun, es waren Wilde, sagte sie sich. Eher Tiere als Menschen. Sie hatten Ruben auf dem Gewissen – Kilians Hass war verständlich.
    «Aber ich will dich mit diesen Sachen nicht langweilen», er legte den Löffel aus der Hand und winkte sie zu sich. Amely trat zu ihm. Er zog sie auf seinen Schoß.
    «Bitte nicht schon wieder, Kilian.»
    «Nein, nein! Nur einen Kuss.» Schon lagen seine Hände um ihren Hals. Vergebens rang Amely nach Luft. Sein Feijoada-Atem hüllte sie ein; seine wulstigen Lippen pressten sich auf ihre. Es tat weh, als seine Zunge in sie stieß und mit dem tropfenförmigen Goldschmuck spielte, der an ihrem Lippenbändchen hing. Noch war die Wunde nicht verheilt.
    «Das ist viel schöner als das, was Frau Ferreira auf den Zähnen hat», sagte er. «Weißt du, dass du hinreißend aussiehst mit dieser geschwollenen Oberlippe?»
    Er rief dem Steuermann zu, er möge wenden. Im Dröhnen des Motors gingen die Fürze unter, die ihn stets nach dem Genuss des Bohneneintopfs plagten.
Wie soll ich ihn mögen?
Amely wollte sich gegen die Stirn schlagen, um die Antwort zu finden. Sie flüchtete in ihre Kajüte, wo Bärbel sie mit hochrotem Kopf in Empfang nahm.
     
    «Nein, Sie haben ganz sicher keine Malaria, Senhora Wittstock.» Herr Oliveira lächelte auf seine übliche freundlich-distanzierte Art. «Aber natürlich lasse ich sofort Herrn Wittstocks Leibarzt rufen, wenn Sie es möchten? Besser einmal zu oft als zu wenig.»
    «Danke, nein. Ich fühle mich ja eigentlich wieder ganz wohl.» Auf eine Untersuchung hatte sie wahrlich keine Lust. Nur weil sie sich seit einiger Zeit morgens erbrach? Sie beschloss, ein Bad zu nehmen. Maria hatte erzählt, wie erfrischend es sei, Limonenscheiben ins Badewasser zu tun. In der Küche erbat Amely eine Schale mit kleingeschnittenen Limonen. Das Wasser einzulassen war eine herrlich einfache Sache. Richtig heiß kam es nicht aus der Wand, aber wer würde hier auch schon heiß baden wollen? Amely schob den Riegel der Badtür vor, entkleidete sich und stieg in die Wanne. Die Arme auf dem Rand, lehnte sie sich zurück. Das tat gut, das Unwohlsein war fast schon wieder fort. Sie hatte sich ein Tischchen an die Seite gestellt, von der sie das Glas mit Guaraná nahm und trank. Wenn ihr nicht wohl sei, solle sie es trinken, hatte Maria gesagt; es bestand aus Honig, dem zerstoßenen Samen einer exotischen Frucht und wirkte erfrischend.
    Sie hatte eigentlich vorgehabt, den Roman zu lesen, den sie sich auf dem Tisch zurechtgelegt hatte. Stattdessen griff sie nach der Leinentasche. Äußerst sorgsam zog sie das kleine Photographiealbum heraus. Am Morgen hatte Consuela es ihr gebracht, verborgen unter ihrer Schürze. Amely hatte schon nicht mehr damit gerechnet, jemals Photographien der Söhne zu sehen zu bekommen. Nun erblickte sie, eingesteckt in schwarzes Papier, die Bilder der Jungen. Mal hockten sie auf kleinen Stühlen, mit Wachstafeln auf dem Schoß, als befänden sie sich im Unterricht. Mal standen sie brav an der Hand Madonna Delma Gonçalves’, ihrer Mutter. Oder sie standen stramm, mit einem Spielzeugsoldaten im Arm. Stets blickten sie steif und ernst, wie man es zu tun pflegte, wenn der Photograph mit seinem Apparat hantierte und man darauf wartete, dass einen das Blitzlichtpulver blendete.
    Ruben, Kaspar … Zwei ganz normale Knaben. Dem Vergessen anheimgefallen. Weil ihr Vater ihren frühen Tod nicht ertrug? Oder weil er es nicht aushielt, wenn das Schicksal ihm etwas aus seinen mächtigen Händen nahm?
    Sie legte das Album auf den Tisch. Durch das geöffnete Fenster hörte sie, wie Kilian sich ereiferte. Vom Beseitigen der Indianerbrut war die Rede – offenbar ging es ihm wieder um den neu zu erschließenden Wald. Seine Wortwahl ließ Amely schaudern. Aber sogleich spitzte sie die Ohren, als sie Felipes Stimme hörte. Er sprach gefasst, beinahe beruhigend. Beide Stimmen verklangen, als sich die Männer entfernten. Und in Amely blieb wieder das eigenartige Ziehen

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