Die Bucht des grünen Mondes
mehrtägige Bootsfahrt auf dem Amazonas und dann den Rio Negro hinauf. Kilian sprach von Reisen an die Strände Rio de Janeiros, sobald die Zeiten wieder ruhiger wären. An den Rio de la Plata oder nach Europa, wenn sie es wollte. Amely wusste, sie wollte es nicht. Die vier, fünf Tage, die er sich genommen hatte, um mit ihr auf der
Amalie
auf engem Raum zusammenzuleben, genügten ihr vollauf. Er nahm ihr den Atem allein mit seiner Präsenz. Lag er neben ihr, kam ihr die Kabinenluft abgestanden vor. Lag er auf ihr, glaubte sie zu ersticken.
Sie saß auf ihrem Toilettenhocker in der Kabine und versuchte ihre Gedanken mit dem Geigenspiel zu vertreiben. Ein schmerzlicher Prozess, denn die Musik trug sie unwillkürlich in die Vergangenheit zurück. Daheim, Berlin, Ausflüge in den Tiergarten, Spaziergänge Unter den Linden, Julius’ warme Hand um ihre … Es war nicht die Amati-Geige, die sie in ihre Halsbeuge bettete, sondern ihre alte. Sollte diese während der feuchten Flussfahrt Schaden nehmen, wäre es nicht so schlimm. Das Instrument klang schon nicht mehr, wie es sollte. Und was hatte sie sich gefürchtet, als der Polizist in Macapá seine Pranken darumgelegt hatte! Man konnte sich an den Luxus, stets das Beste haben zu können, tatsächlich gewöhnen.
Aber einen Mann, den ich den besten nennen könnte, den bekomme ich nie.
Sie versuchte, sich ihre Zuversicht, als sie im Angesicht des Teatro Amazonas den Entschluss gefasst hatte, Kilian zu mögen, ins Gedächtnis zurückzurufen. Wenn es gelingen konnte, dann doch während dieser Hochzeitsfahrt? Er nannte sie Amely-Liebes. Er war nett. Er versuchte, ihr gefällig zu sein.
Aber auch, ihr die Reise zu vergällen.
Es klopfte, Bärbel trat ein. Amely ließ die Töne verklingen und die Violine sinken.
«Frollein Amely, wollen Sie denn den ganzen Tag hier unten hocken?»
«Es ist heiß oben.»
«Hier unten ist’s doch noch heißer.» Das Mädchen knetete den Saum der blütenweißen Schürze. «Der Herr Gemahl möcht’s so haben, dass Sie raufgehen. Sie bräuchten frische Luft. Bald gibt’s Essen. Und er sagt, wenn Sie oben spielen, dann hätte er wenigstens auch was davon.»
«Nein, ich höre ja schon auf.» Amely legte die Geige in den Kasten und verschloss ihn. Dann raffte sie ihr Kleid und folgte Bärbel hinauf an Deck. Das allgegenwärtige Gezwitscher und Geplätscher des Flusses empfing sie. Tief atmete sie die feuchte Luft ein. Unter dem Sonnensegel, von dem rundum Gaze hing, saß Kilian am Esstisch. Er trug einen hellen Leinenanzug mit einer handbreiten schwarzen Trauerbinde am Arm. Der kleine Miguel schleppte Teller heran, darauf ein Körbchen mit Brot. Sie hatten es von einer fahrenden Gaiola gekauft. Ganz wie Felipe im Hafen vor drei Wochen.
Amely nickte Kilian zu und lächelte pflichtbewusst. Aber sie setzte sich nicht zu ihm; stattdessen trat sie an die Bordwand, um ein wenig den Anblick des vorbeiziehenden Waldes zu genießen.
So anders war die Fahrt als damals in der Obhut Herrn Oliveiras. Auch Kilian erzählte viel, aber aus seinen Äußerungen sprach Abneigung gegen Land und Leute. Er liebte allein den Kautschuk. Ja, und das brasilianische Essen, das täglich an Bord serviert wurde.
Und er liebte sie. Er nannte es so. Amely hasste es. Es war wie in der Hochzeitsnacht: Er flüsterte ihr Beruhigendes ins Ohr und nahm sie mit schmerzhafter Wucht. Schlimmer noch, manchmal überkam es ihn an Deck. Dann wurde der kleine Miguel zur Salzsäule; Bärbel rannte unter Deck, als sei der Teufel hinter ihr her, und der Steuermann und die zwei Matrosen taten so, als sei nichts.
Bitte, lieber Gott, mach, dass er vorsichtiger ist oder sogar keine Lust mehr hat, wenn er merkt, dass ich in anderen Umständen bin
.
Noch war sie sich nicht sicher. Dass Frauen morgens übel wurde und sie vergebens auf ihre Blutung warteten, wusste sie nur aus Romanen. Vielleicht stimmte das ja gar nicht. Im richtigen Leben sprach man jedenfalls nicht über solche Dinge. Aber sie flehte darum. Sie wusste ja, dass Kilian von ihr einen Sohn erwartete. Sobald das geschähe, würde alles einfacher sein.
Sein Korbstuhl knarrte, als er sich erhob. Er trat hinter sie. Amely krampfte die Finger um die Reling. Sein schneller Atem verriet, was er sich noch vor dem Essen nehmen wollte. Aber er hatte doch erst am frühen Morgen, gleich nach dem Aufwachen, auf ihr gelegen! Als seine Hände ihre Arme hinunterglitten, machte sie sich steif.
«Du spielst schön», raunte er ihr ins Ohr.
Weitere Kostenlose Bücher