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Die Bücherdiebin

Die Bücherdiebin

Titel: Die Bücherdiebin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Zusak
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Rudi die Medaillen entgegen. »Die hast du vergessen.«
    »Nein, habe ich nicht.« Er machte die Tür zu, und Liesel nahm die Medaillen mit nach Hause. Sie brachte sie hinunter in den Keller und erzählte Max von ihrem Freund Rudi Steiner.
    »Er ist wirklich dumm«, sagte sie abschließend.
    »Zweifellos«, stimmte Max zu, » aber ich glaube nicht, dass er sich zum Narren halten ließ. «
    Dann arbeitete Max an seinem Skizzenbuch weiter, während Liesel den Traumträger las. Sie war schon im letzten Drittel angelangt, in dem der junge Priester an seinem Glauben zu zweifeln beginnt, nachdem er eine fremde und elegante Dame kennengelernt hat.
    Sie legte das Buch mit den aufgeschlagenen Seiten nach unten in ihren Schoß. Max fragte, wann sie glaube, damit fertig zu sein.
    »In ein paar Tagen.«
    »Und dann? Ein neues Buch?«
    Die Bücherdiebin schaute hinauf zur Kellerdecke. »Vielleicht, Max.« Sie schlug das Buch zu und lehnte sich zurück. »Wenn ich Glück habe.«
    DAS NÄCHSTE BUCH
    Es ist nicht das Duden Bedeutungswörterbuch, wie ihr vielleicht erwartet habt.
    Nein, das Wörterbuch kommt erst am Ende dieser kleinen Trilogie zum Zuge, und derzeit befinden wir uns im zweiten Teil. Dies ist der Abschnitt, in dem Liesel den Traumträger zu Ende liest und eine Geschichte mit dem Titel Ein Lied im Dunkeln stiehlt. Wie immer stammte sie aus dem Haus des Bürgermeisters. Der einzige Unterschied war, dass sie diesmal allein dorthin ging. Rudi war an diesem Tag nicht bei ihr.
    Der Morgen war reich an Sonne und schaumigen Wolken.
    Liesel stand in der Bibliothek des Bürgermeisters. Gier klebte an ihren Fingern und Buchtitel an ihren Lippen. Heute fühlte sie sich sicher genug, um mit den Händen über die Regale zu streichen - eine abgekürzte Wiederholung dessen, was sie früher in diesem Raum getan hatte -, und sie flüsterte im Vorbeigehen viele der Titel vor sich hin.
    Unter dem Kirschbaum.
    Der zehnte Leutnant.
    Wie so oft fühlte sie sich von etlichen dieser Titel in Versuchung geführt, aber nach ein oder zwei Minuten entschied sie sich für Ein Lied im Dunkeln, wahrscheinlich weil das Buch grün war und sie noch kein Buch in dieser Farbe besaß. Die geprägte Schrift auf dem Einband war weiß, und zwischen Titel und Autor befand sich das Bild einer kleinen Flöte. Mit dem Buch kletterte sie aus dem Fenster und bedankte sich dabei lautlos.
    Normalerweise fehlte ihr etwas, wenn Rudi nicht da war, aber an diesem besonderen Morgen war die Bücherdiebin aus irgendeinem Grund lieber allein. Sie ging zur Amper, setzte sich ans Ufer - weit genug von dem üblichen Treffpunkt von Viktor Chemmel und Arthur Bergs ehemaliger Bande entfernt - und las. Niemand kam vorbei, niemand störte sie, und Liesel las vier der sehr kurzen Kapitel von Ein Lied im Dunke l n. Sie war glücklich.
    Es war das Vergnügen und die Befriedigung.
    Über einen gelungenen Diebstahl.
    Eine Woche später war die Trilogie des Glücks komplett.
    In den letzten Augusttagen wurde ihr ein Geschenk gemacht, oder besser gesagt: Das Geschenk wurde bemerkt.
    Es war später Nachmittag. Liesel schaute Kristina Müller beim Seilspringen auf der Himmelstraße zu. Rudi Steiner kam schlitternd auf dem Fahrrad seines Bruders vor ihr zum Stehen. »Hast du Zeit?«, fragte er sie.
    Sie zuckte mit den Schultern. »Wofür?«
    »Ich glaube, du solltest mitkommen.« Er legte das Fahrrad ab und ging nach Hause, um ein zweites zu holen. Liesel betrachtete die kreiselnden Pedale vor ihren Füßen.
    Sie fuhren die Große Straße hinauf. Rudi hielt an und wartete. »Und?«, fragte Liesel. »Was ist denn?« Rudi deutete mit dem Finger. »Schau genau hin.«
    Sie schoben sich näher, um einen besseren Blick zu haben, und versteckten sich hinter einer Blautanne. Durch die stacheligen Zweige sah Liesel das angelehnte Fenster und dann einen Gegenstand hinter der Glasscheibe.
    »Ist das ...?«
    Rudi nickte.
    Sie besprachen die Situation ein paar Minuten lang, bis sie entschieden, dass es getan werden musste. Das Buch war ganz offensichtlich absichtlich dort hingestellt worden, und wenn es eine Falle war, so war es jedenfalls den Versuch wert.
    Inmitten der pudrig blauen Zweige sagte Liesel: »Ein Bücherdieb würde es tun.«
    Sie legte das Fahrrad auf den Boden, schaute sich auf der Straße um und ging durch den Hof. Die Wolkenschatten waren im dunklen Gras vergraben. Waren es Löcher, in die man fallen, oder dunkle Flecken, in denen man sich verbergen konnte? In ihrer Einbildung rutschte

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