Die Bücherdiebin
Männern angezogen und stellte sich ihnen im Nebel in den Weg. Sie war zierlich und vor Angst und Sorge gebeugt.
»Haben Sie meinen Jungen gesehen?«
»Wie alt ist er?«, fragte der Unteroffizier.
»Zwölf.«
O Herr im Himmel. O lieber Gott.
Alle dachten sie es, aber der Unteroffizier brachte es nicht über sich, ihr etwas zu sagen oder ihr den Weg zu weisen.
Die Frau versuchte, sich an ihnen vorbeizuschieben, aber Boris Schipper hielt sie fest. »Wir kommen gerade aus dieser Straße dort«, versicherte er ihr. »Dort werden Sie ihn nicht finden.«
Die gebeugte Frau hielt immer noch an der Hoffnung fest. Sie suchte weiter, halb laufend, halb gehend, und rief über ihre Schulter: »Rudi!«
Hans Hubermann dachte an einen anderen Rudi. An den aus der Himmelstraße. Bitte, flehte er einen Himmel an, den er nicht sehen konnte, bitte beschütze Rudi. Seine Gedanken wanderten weiter zu Liesel und Rosa, zu den Steiners und zu Max.
Als sie wieder zum Rest der Einheit stießen, ließ sich Hans fallen und legte sich auf den Rücken.
»Wie war's da unten bei euch?«, fragte jemand. Papas Lunge war voller Himmel.
Ein paar Stunden später, nachdem er sich gewaschen, etwas gegessen und es wieder erbrochen hatte, machte er sich daran, einen ausführlichen Brief nach Hause zu schreiben. Seine Hände entzogen sich seiner Kontrolle, zwangen ihn, sich kurz zu fassen. Wenn er es über sich bringen würde, dann würde er den Rest persönlich erzählen, falls er je wieder nach Hause kommen sollte.
Meine liebe Rosa, meine liebe Liesel, begann er.
Es dauerte viele Minuten, bis diese sechs Worte geschrieben waren.
die brotesser
Molching hatte ein langes und ereignisreiches Jahr erlebt und war nun dabei, es hinter sich zu lassen.
Liesel verbrachte die letzten Wochen des Jahres 1942 in Gedanken an drei verzweifelte Männer, wie sie es nannte. Sie fragte sich, wo sie waren und was sie taten.
Eines Nachmittags holte sie das Akkordeon aus dem Koffer und polierte es mit einem Tuch. Nur ein Mal, kurz bevor sie es wieder weglegte, führte sie aus, wozu Mama nicht in der Lage gewesen war. Sie drückte mit dem Finger auf eine der Tasten und pumpte verhalten die Blasebälge.
Rosa hatte es besser gewusst.
Der Ton ließ den Raum noch leerer erscheinen.
Wann immer sie Rudi begegnete, fragte sie ihn nach Neuigkeiten von seinem Vater. Manchmal erzählte er ihr in allen Einzelheiten von einem Brief, den sie von Alex Steiner erhalten hatten. Im Vergleich dazu war der Brief ihres eigenen Papas eine leise Enttäuschung.
Was Max betraf, war alles ihrer Vorstellungskraft überlassen.
Sie versammelte allen Optimismus in sich und stellte sich vor, wie er allein auf einer einsamen Straße ging. Manchmal sah sie ihn vor ihrem geistigen Auge durch eine Tür in Sicherheit stolpern, weil sein Ausweis eine freundliche Seele zum Narren gehalten hatte.
Die drei Männer tauchten überall auf.
Sie sah ihren Papa in der Fensterscheibe des Klassenzimmers. Max saß oft neben ihr vor dem Kamin. Alex Steiner kam, wenn sie mit Rudi zusammen war, und warf ihnen mahnende Blicke zu, wenn sie ihre Räder auf den Asphalt der Münchener Straße fallen ließen und durch das Schaufenster in den Laden blickten.
»Schau dir diese Anzüge an«, sagte Rudi zu ihr. Sein Kopf und seine Hände lagen an der Glasscheibe. »Was für eine Verschwendung.«
Merkwürdigerweise war Frau Holzinger Liesels liebste Abwechslung. Die Vorlesestunden waren nun auch auf den Mittwoch ausgeweitet worden, und sie hatten bereits die durch das Wasser geschrumpfte Version des Pfeifers beendet und lasen nun den Traumträger.
Manchmal kochte die alte Frau Tee oder setzte Liesel einen Teller Suppe vor, die um Längen besser war als die von Mama. Nicht so wässrig.
Seit Oktober hatte eine weitere Parade von Juden stattgefunden, und eine sollte noch folgen. Wie beim ersten Mal war Liesel zur Münchener Straße geeilt, diesmal um nachzusehen, ob Max Vandenburg dabei war. Sie fühlte sich innerlich zerrissen zwischen dem Verlangen, ihn zu sehen - der Gewissheit, dass er noch am Leben war -, und dem Wunsch, er möge nicht dabei sein, was Verschiedenes bedeuten konnte, unter anderem dass er sich noch in Freiheit befand.
Mitte Dezember wurde eine kleine Gruppe von Juden und anderen Übeltätern die Münchener Straße entlang nach Dachau getrieben. Die dritte Parade.
Rudi marschierte siegessicher durch die Himmelstraße, betrat Haus Nummer 35 und kam mit einer kleinen Tüte und zwei Fahrrädern
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