Die Burg der Könige
Agnes. »Je länger wir warten, desto mehr Zeit hat der Schwarze Hans, sich auf Vaters Angriff vorzubereiten. Er wird seine Burg befestigen lassen, und zwar von dem Geld, das er uns geraubt hat!«
»Ich geb mir Mühe, ja? Mehr kann ich auch nicht versprechen.« Mathis atmete tief durch, dann sprach er mit ruhigerer Stimme weiter: »Eigentlich bin ich ja gekommen, um dir mitzuteilen, dass dein komischer Herr Graf jetzt tatsächlich in die Scharfenbergruine einzieht. Unten am Pass hab ich einen ganzen Haufen Soldaten und Fuhrknechte mit vollgepackten Karren gesehen. Möbel, Kisten, Rüstungen, Spieße, Armbrüste …« Er grinste sie an. »Was hältst du davon, wenn wir uns das Ganze mal aus der Nähe ansehen? Dann kommst du vielleicht auf andere Gedanken.«
Als sie drüben in Scharfenberg ankamen, war der gewaltige Wagentross bereits bis vor die Tore der Burg gezogen. Agnes zählte über ein Dutzend Karren, die bis oben hin mit Truhen, Holzkisten und Tuchballen beladen waren. Der Weg hatte sie beide entlang der Senke geführt, wo sie vor einer Woche noch die merkwürdigen Lichter gesehen hatten, die so plötzlich verschwunden waren. Als sie am nächsten Morgen dort noch einmal vorbeigingen, war ihnen nichts Besonderes aufgefallen.
Jetzt beim Geschrei der Fuhrleute, dem Wiehern der Pferde und dem Schimpfen der Knechte, die die schweren Kisten Stück für Stück abluden, kam Agnes ihre nächtliche Begegnung wie ein Spuk vor. Im hellen Sonnenlicht wirkten Burg und Umgebung beinahe heimelig.
Auf Burg Scharfenberg hatten bis vor einigen Jahrzehnten die Ritter der Familie Neipperg gewohnt. Doch als mit Vogt Engelhard von Neipperg der Letzte dieses alten Geschlechts gestorben war, hatte der herzogliche Verwalter das Lehen nicht mehr neu besetzt. Sturm, Regen und Schnee hatten die einst so prächtigen Butzenglasfenster im Palas eingedrückt, Dachschindeln weggeweht und einige der Zinnen zerstört. Doch ansonsten war Scharfenberg noch in einem verhältnismäßig guten Zustand. Dafür hatte auch die kleine Wachmannschaft gesorgt, die eventuelle Plünderer wenigstens vom inneren Mauerring ferngehalten hatte. Agnes wusste von anderen Burgen, die innerhalb weniger Jahre zu Steinbrüchen verkommen waren, weil die Bauern der Gegend sich für den eigenen Hausbau bedient hatten. Immer wieder konnte man in Bauernkaten Mauersteine finden, deren Beschaffenheit und Gravuren auf einen früheren adligen Besitzer hindeuteten.
Burg Scharfenberg lag ebenso wie der Trifels auf dem Sonnenberg, auf einem südlichen Felsplateau, war aber weitaus kleiner. Das Auffälligste an ihr war der hohe Bergfried, der neben dem Palas auf der Oberburg stand. Darunter befanden sich Schuppen, Ställe und Wohnhäuser, die von einer ringförmigen Mauer umgeben waren. Ein tiefer Graben umschloss den Bau an drei Seiten, im Westen führte eine Zugbrücke zum ersten Burgtor, durch das soeben gemächlich einige der Fuhrwerke zuckelten. Handwerker hatten Gerüste an die Außenmauern gelehnt und begannen damit, Steine neu zu vermörteln oder Dächer zu decken. Eine Gruppe farbig gekleideter Landsknechte saß auf einem moosigen Felsen in der Sonne. Die Männer würfelten, lachten und sangen so laut, dass es weithin zu hören war.
Agnes und Mathis standen ein wenig abseits und beobachteten von dort aus das bunte Treiben. Die Vogtstochter versuchte sich vorzustellen, wie viel Geld Graf Friedrich von Löwenstein-Scharfeneck für die Erneuerung dieser Burg wohl ausgeben würde. Es mussten Tausende von Gulden sein, eine Summe, die ihr Vater in seinem ganzen Leben noch nie auch nur ansatzweise gesehen hatte.
»Pater Tristan hat mir mal erzählt, dass Scharfenberg einst ein Gefängnis war«, sagte sie zu Mathis, während sie ein paar Glaser bei der Arbeit beobachtete. Die Handwerker setzten soeben neue leuchtend farbige Fenster im zweiten Stock des Palas ein. »Wenn das hier fertig ist, sieht die Burg eher aus wie der kurfürstliche Palast in Heidelberg.«
»Und unten in Leinsweiler und den anderen Dörfern verhungern die Bauern!« Mathis schüttelte den Kopf. »Eine Schande ist das. Diese Burg wird mit dem Blut von Menschen erneuert!«
»Du vergisst, dass der Graf den Handwerkern der Gegend damit zu einem guten Auskommen verhilft«, erwiderte Agnes. »Die müssen auch von was leben.«
»Den Handwerkern hilft er vielleicht, aber die Bauern haben nichts davon. Und das Geld, das der feine Herr Graf diesen tüchtigen Männern gibt, hat er ihnen vorher als Steuern aus
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