Die Burg der Könige
größten Geheimnisse des Reiches zu verraten. Denn eines wusste sie: Dieser Mann würde sie nicht gehen lassen. Er würde ihr so lange Schmerzen zufügen, bis sie ihm alles erzählt hatte. Und dann würde er sie umbringen.
Das darf nicht geschehen! Alles wäre sonst vergeblich gewesen!
Elsbeth Rechsteiner fasste ihren Entschluss. Sie schloss die Augen und murmelte ein letztes Gebet.
»Sanctus Fridericus, libera me, libera me. Vade satanas …«
Dann sprang sie.
»Maldito, estupida gallina!«
Der Fremde fluchte laut in einer fremden Sprache, dann rannte er zum Ende des Stegs. Durch die Wasseroberfläche hindurch sah Elsbeth sein Gesicht nur verschwommen, so verzerrt wie eine teuflische Maske, die sich langsam in ölige Schlieren auflöste. Schließlich war es verschwunden, und die Hebamme spürte, wie sie beinahe schwerelos den Rhein hinabtrieb. Wie ein Vogel, wie jener Falke, dem sie den Ring anvertraut hatte, so flog sie dahin. Sie öffnete den Mund zu einem letzten Gebet, und Wasser strömte in ihre Lunge. Kurz übermannte Elsbeth ein furchtbarer Schmerz, der jedoch schon bald von einer tiefen Zufriedenheit abgelöst wurde.
Sie hatte das Geheimnis nicht verraten.
Noch immer fluchend stand Caspar auf dem Steg, während der leblose Körper der alten Hebamme wie ein Stück Holz den Rhein hinabtrieb. Er schüttelte den Kopf. Zwei verschwendete Tage, und alles nur, weil er einem Kräuterweib nachgejagt war, das lieber ins Wasser sprang, als ihm Rede und Antwort zu stehen. Die Leute in dieser Gegend waren wirklich verrückter als ein irres Rind!
»Maldito!« , schimpfte er ein letztes Mal und stampfte mit dem Fuß auf, dass der morsche Steg bedrohlich knackste.
Caspar atmete tief durch und versuchte sich zu beruhigen. Dass seine Männer die Nichte der Hebamme in Waldrohrbach gefunden hatten, war reiner Zufall gewesen. Sie hatten sich im Ort umgehört, und jemand hatte sie auf die richtige Fährte geführt. Doch leider war die Alte schon geflohen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war ihm klargeworden, dass das verrückte Kräuterweib mehr wusste als bislang angenommen. Warum sonst hätte sie den ganzen weiten Weg vor ihm davonlaufen sollen?
Nun würde er nie herausfinden, was sie tatsächlich gewusst hatte.
Zwei vergeudete Tage!
Ein letztes Mal blickte Caspar auf die schwarzen Wasser des Rheins, dann ging er den schmalen Trampelpfad zurück zu seinem Pferd, das nicht weit entfernt im Schilf versteckt stand. Er stieg auf, gab dem Tier die Sporen und preschte den weiten Weg zurück nach Annweiler.
Er konnte nur hoffen, dass der andere ihm nicht bereits zuvorgekommen war.
***
Der Angriff auf die Ramburg erfolgte kurz vor Sonnenaufgang des darauffolgenden Tages.
Die Wälder am Fuße des Hügels lagen noch in tiefer Dunkelheit, nur auf den Wipfeln einiger hoher Buchen zeigte sich ein erstes zartes Rot. Es war die Zeit, in der die Vögel anfingen zu zwitschern und zu singen. Da hallte der erste Schuss über das Gelände. Ein, zwei weitere folgten, dann rannten die Bauern, die sich bislang hinter Bäumen versteckt gehalten hatten, schreiend auf das Burgtor zu. Vorneweg lief Philipp von Erfenstein und brüllte einige Befehle. Die Überrumpelungstaktik schien aufzugehen, jedenfalls zeigten sich auf den Mauern bislang noch keine Wachleute.
Mathis beobachtete den Überraschungsangriff von seinem Versteck hinter einem der Holzschilde aus. Neben ihm stopfte Ulrich Reichhart ruhig und aufmerksam das körnige Schießpulver mit einem Holzstößel in die Dicke Hedwig.
»Jetzt wird sich zeigen, ob dieses Feuerrohr wirklich etwas taugt«, knurrte Reichhart. »Wirst sehen, Mathis, wenn das hier vorbei ist, baut dir Erfenstein einen Thron aus Eisen.« Seine Stimme wurde von den Schreien und Schüssen um sie herum beinahe übertönt.
»Oder einen Käfig, um mich darin zu ersäufen«, murmelte Mathis geistesabwesend.
Er atmete schwer, während er die fast dreißig Pfund schwere Steinkugel vorne in den Lauf schob und mit einem mit Stoff umwickelten Stab nach hinten rammte. Ein letztes Mal überprüfte er das Rohr auf kleine Risse. Schon ein einziger von ihnen, nur haarfein, konnte die Bronze zum Bersten bringen.
Wenigstens bekomme ich dann nicht mehr mit, wie Melchior von Tanningen einen kurzen Reim auf mein unrühmliches Ende macht , dachte er.
Nachdem Mathis die Kugel in die Mündung gepresst hatte, begann er, mittels einer großen Kurbel an der Seite den Winkel des Rohrs zu verstellen.
»Verflucht, warum dauert das so
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