Die Burg der Könige
lange?«, schimpfte Reichhart und äugte hinüber zu den Bauern, die mittlerweile dabei waren, mit Leitern das Burgtor zu erklimmen. Als Waffen dienten den jungen Männern Sicheln, kurze Spieße und Äxte. »Wenn wir uns nicht beeilen, bringt der Vogt keinen einzigen dieser Heißsporne zu seinen Eltern zurück!«, fuhr der alte Geschützmeister düster fort. »Jedenfalls nicht in einem Stück.«
»Ich muss das Rohr erst justieren«, erwiderte Mathis knapp. »Die Bauern haben auch nichts davon, wenn wir die Kugeln in den Mond schießen.«
Während er die Kurbel drehte, beobachtete Mathis durch einen Schlitz zwischen den Schilden, wie einer der Bauern schreiend von der Leiter stürzte. In seiner Brust steckte der Schaft einer Lanze. Philipp von Erfenstein hatte nur Helm und Kettenhemd angezogen, um von seinem Platz auf der Leiter aus beweglicher kämpfen zu können. Mit einem spitzen Kurzschwert focht er gleich gegen drei Männer, die versuchten, ihn hinunterzuwerfen. Ein weiterer der Bauern fiel mit rudernden Armen direkt vor das Burgtor und blieb dort schmerzverkrümmt liegen. Von der gegenüberliegenden Seite der Burg erklangen nun vereinzelte Schüsse, doch von Scharfenecks Landsknechten war bislang nichts zu sehen. Sie schienen sich tatsächlich auf den Scheinangriff an der Südseite zu beschränken.
Dort, wo es am sichersten ist , dachte Mathis. Und unsere Bauern müssen bluten!
Endlich hatte er das Rohr justiert. Er ließ sich von Ulrich Reichhart den brennenden Luntenstock reichen und entzündete damit die Ladung im Zündloch, die ruhig und gleichmäßig abbrannte. Das britzelnde Geräusch erklang in Mathis’ Ohren wie das bedrohliche Zischen einer Schlange. Er gab Reichhart ein Zeichen, und gemeinsam hielten sie sich die Ohren zu.
Der darauffolgende Knall war so gewaltig, dass die beiden Geschützmeister zu Boden gingen. Die Dicke Hedwig war trotz ihres Gewichts in ihrer Aufhängung mehrere Schritt nach hinten gerollt, bis sie ein eigens aufgeschütteter Erdwall aufhielt. Rauch stieg in dicken Schwaden vor Mathis auf und versperrte ihm die Sicht. Seine Augen tränten, in den Ohren toste und rauschte es. Er kniete sich hin und versuchte im sich langsam verziehenden Nebel etwas zu erkennen. Der mannshohe Holzschild, der bislang vor dem Feuerrohr gestanden hatte, war gänzlich verschwunden, nur noch einige verbrannte Holzsplitter lagen verstreut am Boden. Über dem verkohlten Gelände lag plötzlich eine gespenstische Ruhe. Es schien, als starrten sämtliche Angreifer und auch Verteidiger auf das gewaltige Monstrum, das diesen Höllenlärm verursacht hatte. Erst nach einer Weile war im Pulvernebel vor Mathis die Schildmauer zu sehen.
In der Mitte der Mauer, in etwa zehn Schritt Höhe, klaffte ein eiförmiges schmales Loch in der Wand.
»Verdammt, wir haben zu hoch gezielt!«, fluchte Ulrich Reichhart. »Dort oben kommen unsere Männer niemals rein.«
Mathis biss sich auf die Lippen. Der Überraschungsmoment war verflogen. Und keiner wusste, wie lange die Dicke Hedwig noch durchhielt, ohne zu bersten. Mathis langte an das Rohr und zog überrascht die Hand weg. Die Bronze war glühend heiß.
»Wir können nur noch einen, höchstens zwei Schüsse wagen!«, schrie er gegen den Kampflärm an, der mittlerweile wieder angeschwollen war. »Dann müssen wir eine Weile aussetzen, sonst fliegt uns die Hedwig um die Ohren.«
»Aussetzen?« Reichhart sah ihn verständnislos an. »Wir sind viel zu nah an der Mauer dran. Die nehmen uns ins Visier wie die Hasen! Außerdem können wir das Geschütz hier nicht allzu lange ungeschützt stehen lassen. Sonst schießen sie uns das schöne Stück noch zu Klump!«
Mathis duckte sich, als die Kugel einer Arkebuse pfeifend über sie hinwegrauschte. Tatsächlich nahmen die Verteidiger nun die beiden Geschützmeister unter Feuer.
Falls jemand das Schießpulver trifft, wird es wenigstens nicht lange weh tun …
Ratlos blickte Mathis hinüber zu den Bauern, die weiterhin vergeblich versuchten, über die Rampe das Burgtor zu erstürmen. Vier von ihnen lagen bereits tot oder verletzt am Boden. Nur Philipp von Erfenstein war es erneut gelungen, mit einer Leiter bis fast an die Brüstung zu gelangen. Doch sein Schwertarm, mit dem er auf die Verteidiger eindrosch, wirkte mittlerweile lahm; die Bewegungen wurden langsamer.
»Jemand muss Scharfenecks Landsknechten sagen, dass sie den Bauern zu Hilfe kommen müssen!«, befahl Mathis, während eine Bleikugel den oberen Teil des
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