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Die Burg der Könige

Die Burg der Könige

Titel: Die Burg der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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er hüfttief im Morast ein, seine Schwertscheide ist schlammverschmiert, das Kettenhemd droht ihn mehrmals nach unten zu ziehen, der Regen stürzt herab wie aus Kübeln. Mit beiden Händen hält Johann einen Gegenstand in die Höhe, der in ein einfaches graues Tuch gehüllt ist. Alles darf nass und schmutzig werden, nur der Inhalt dieses Tuches nicht.
    Die Heilige Lanze.
    Hastig schlägt Johann den Stoff zur Seite, um zum Dutzendsten Mal zu überprüfen, ob die Lanze keinen Schaden erlitten hat. Sie ist unversehrt, wobei der Schaft schon seit vielen Jahrhunderten fehlt, nur noch der unterarmlange Aufsatz mit der Spitze ist erhalten. Das Lanzenblatt wurde irgendwann aufgestemmt, so dass dazwischen nun ein schmaler Spalt ist, der im Nachhinein mit Silberdraht und einer ebenfalls silbernen Manschette wieder geschlossen wurde.
    Darin befindet sich ein Nagel vom Kreuz Christi.
    Johann weiß, dass er die wichtigste Reliquie der Christenheit gestohlen hat. Er flüstert ein Gebet, das der Sturm wie trockenes Laub davonträgt, und hofft, dass Gott ihm einst seinen Frevel verzeihen wird. Nicht aus Raffgier hat der junge Ritter gehandelt, sondern allein, um seine Familie zu ­beschützen. Er will die Lanze gegen Freiheit und Leben tauschen, das Leben seiner Frau und das seines Kindes. Johann packt die Lanze wieder weg und nickt grimmig, während der Wind an seinen nassen Haaren zerrt. In wenigen Augen­blicken wird er den Ort erreicht haben, der ihm Schutz gewährt.
    Der Ort, an dem alle Feindschaft endet.
    Endlich taucht vor ihm das kleine, von wildem Wein und Efeu zugewucherte Portal auf. Leise ruft er die Parole, die ihm Freunde noch gestern verraten haben. Die Tür öffnet sich quietschend, und ein bulliger Wärter lässt ihn schweigend ein. Hier hinter der Mauer scheint der Sturm nicht ganz so stark zu sein. Johann sieht sich vorsichtig um. Es ist stockdunkle Nacht. Eine kleine Kirche duckt sich wie ein ängstlicher Köter an die Stadtmauer. Irgendwo rauscht ein Bach, kein Mensch ist in den schlammigen Gassen zu sehen. Trotzdem bleibt er wachsam. Er ahnt, dass seine Feinde Bescheid wissen. Wohin sollte er auch sonst fliehen, wenn nicht nach Speyer, in die Bischofsstadt? Sicher werden sie ihm irgendwo auflauern. Nur wo?
    Gebückt schleicht Johann durch die engen, muffigen Gassen der Stadt, wo die Hauswände manchmal nur schulterbreit auseinanderstehen. Er meidet die großen Plätze, bleibt immer wieder stehen und lauscht. Das Miauen einer Katze, das schrille Gelächter eine Hure, der dumpfe Schlag der Dom­glocken, sonst herrscht Ruhe. Johanns Herz pocht wild. Nur noch wenige Meter, dann ist er in Sicherheit! Kann es so ­einfach sein? Hält Gott selbst seine schützende Hand über ihn?
    Endlich taucht vor ihm der leere Domplatz mit dem Brunnen auf. Eine Kette spannt sich von beiden Seiten des Domnapfs quer über den Platz. Dahinter beginnt die Domfreiheit, dahinter ist er sicher, in der Obhut des Speyerer Bischofs.
    Johann spricht ein letztes leises Gebet, er küsst die ins Tuch gewickelte Heilige Lanze, dann rennt er los. Der Regen klatscht ihm ins Gesicht, der Sturm faucht wie ein wildes Tier. Ein letzter Sprung, und er ist hinter der Kette. Johann kann sein Glück kaum fassen. Seine Sorge war unbegründet. Sie ­haben ihm nicht aufgelauert! Links neben dem Dom liegt die Bischofspfalz mit ihren herrschaftlichen Gebäuden. Alles, was er jetzt noch zu tun hat, ist, den Wächter heraus­zuklopfen, um Quartier zu ersuchen und morgen beim Bischof …
    Er stockt, als er neben einer Seitenkapelle des Doms drei Reiter auf ihren Pferden sieht. Ein vierter Mann verlässt soeben mit einem Geistlichen das Haus des Bischofs und eilt hin­über zu den dreien. Der Priester in rotem Ornat erteilt von der Treppe aus mit einem Kreuz seinen Segen, dann flüchtet er vor Sturm und Regen hastig wieder ins Gebäude. Hinter Johann klirrt die Kette im Wind. Beinahe gleichzeitig wenden sich die vier Fremden nun zu ihm um, und im gleichen Augenblick weiß der Ritter, dass er verraten wurde.
    Johann zuckt zusammen. Die Männer tragen dunkle Mäntel, doch im Licht einer Fackel ist schimmernd das rot-weiß-rote Wappen zu erkennen, das sich vorne auf ihren Waffen­röcken befindet.
    Es sind Agenten der Habsburger, gedungene Meuchler, und sie sind geschickt worden, um ihn zu töten.
    Sofort dreht Johann sich um und rennt auf den Dom zu. Er ist ein guter Kämpfer, doch sie sind zu viert. Und sie werden nicht ehrenhaft kämpfen, so viel ist sicher. Es

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