Die Burg der Könige
sind feige Bluthunde, keine Ritter, einzig ausgeschickt, um ihn zu beseitigen und die Lanze in ihren Besitz zu nehmen. Johann weiß, dass sein Leben verwirkt ist, aber nun will er wenigstens noch dafür sorgen, dass kein Habsburger je wieder rechtmäßig auf dem Königsthron sitzt.
Johann will die Heilige Lanze irgendwo verbergen. Er wird sie in Gottes Hände legen.
Schwer atmend erreicht er den Dom. Er stürzt hinein und sieht sich hastig um. Dunkle Säulen, das Monument der toten Kaiser vorne vor dem Lettner, im Schatten liegende Altäre zur Linken und Rechten … Wo soll er die Lanze verstecken? Wo? Es sind nur noch wenige Augenblicke, bis seine Häscher den Dom betreten.
Wo?
Mit dem Rücken an eine Säule gelehnt schweift sein Blick erneut durch das Mittelschiff.
Wo …?
Als er das Versteck endlich gefunden und die Lanze verstaut hat, atmet der Ritter tief durch. Dann klettert er auf das Monument der Kaisergruft und zieht sein Langschwert. Mit schlammbespritzten Schuhen steigt er auf die Grabplatte jenes Mannes, dessen Familie die Ehre der Staufer für immer besudelt hat. Nun soll Johanns Blut wenigstens sein Grab benetzen, das Grab Rudolf von Habsburgs.
»Constanza«, flüstert Johann. »Für dich und unser Kind.«
Er küsst sein Schwert und erwartet den Angriff seiner Feinde.
Agnes öffnete die Augen und starrte auf das Monument vor ihr. Einen Augenblick lang glaubte sie noch, Johann dort oben stehen zu sehen, ein stilles Gebet auf den Lippen, das Schwert zum Kampf erhoben. Doch das Bild verblasste schnell, und stattdessen erblickte sie die drei Landsknechte, die begonnen hatten, die Grabplatten wieder auf die Sarkophage zu schieben. Friedrich, Melchior und Mathis standen am Fuß des Denkmals und musterten sie aufmerksam. Ein Schwindel überkam sie, und sie musste sich an die Säule hinter ihr lehnen.
»Und?«, drängte Friedrich. »Wo ist die Lanze? Red schon, Weib!«
»Er war hier«, keuchte Agnes. »Johann war hier im Dom. Ich habe ihn deutlich gesehen!«
Melchior knetete ergriffen die Hände. In seinem Gesicht zeigten sich Züge kindlichen Staunens. »Habt ihr das Weiß in ihren Augen gesehen?«, murmelte er. »Die Gräfin hatte eine Vision! Ganz wie eine Märtyrerin, wie die große Hildegard von Bingen. Was für ein Lied würde dieses Abenteuer ergeben! Schade, dass ich nie darüber berichten darf.«
»Hokuspokus!«, schimpfte der Graf. »Ich will allein wissen, ob ihr ein mögliches Versteck eingefallen ist. Im Gegensatz zu Euch habe ich nämlich keine Lust, in den nächsten Stunden die halbe Stadt umzugraben. Die Domfreiheit reicht bis zur östlichen Stadtmauer!«
»Er hat die Lanze hier drinnen versteckt, ganz sicher!«, beharrte Agnes. »Es … es muss irgendein Ort in der Nähe des Monuments sein.«
»In der Nähe des Monuments sind nur Kirchenbänke und Säulen«, erwiderte Friedrich. »Da kann man nichts verstecken. Jedenfalls nicht für so lange Zeit.«
Mathis schnaubte und sah die beiden Männer neben ihm zornig an. »Wenn ihr wollt, dass Agnes für euch diese Lanze findet, dann schneidet ihr wenigstens die Fesseln durch. Weglaufen können wir doch ohnehin nicht.«
Schweigend zog Melchior seinen Dolch und schnitt Agnes los. Sie rieb sich die Hände, wo die Riemen ihr bereits das Blut abgeschnürt hatten.
»Danke«, sagte sie leise, während der Barde sie noch immer anstarrte wie einen Geist.
»Eine Märtyrerin«, wiederholte Melchior monoton. »Eine echte Märtyrerin.« Etwas schien in ihm zu arbeiten.
Agnes lehnte sich erneut an die Säule und spürte, wie ihr die Kälte des Steins den Rücken entlangkroch. Wieder überfiel sie jener fiebrige Schwindel, den sie bereits in der Trifelser Kerkerzelle und im dahinterliegenden Kaisersaal bemerkt hatte. Sie kniff die Augen zusammen und versuchte sich noch einmal vorzustellen, wie Johann hier vor über zweihundert Jahren im Dom gestanden hatte, vielleicht an just diese Säule gelehnt.
Nur ein paar Augenblicke, er hatte nur ein paar wenige Augenblicke …
Agnes’ Blick glitt über die düsteren Altäre in den Seitenschiffen, über die Kirchenfenster, die vielen Säulen bis hin zur südlichen Treppe, die hinunterführte in die Krypta, aus der sie letztes Jahr Hals über Kopf geflohen war. Am Treppenaufgang befand sich in Hüfthöhe ein kleines Bild, das sie erst jetzt bemerkte. Es zeigte eine hastig gezeichnete weibliche Figur. Irgendein Dombaumeister mochte die Skizze vor langer Zeit dort eingeritzt haben, vielleicht als Zeichen
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