Die Burg der Könige
festgebunden haben. Wer sich hinter dem sogenannten Domnapf befindet, kann von keinem weltlichen Gericht mehr belangt werden. Er begibt sich ganz in die Hände des Bischofs. Schon damals, vor einem Jahr, ist mir der Brunnen aufgefallen. Allerdings dachte ich damals nicht an Johann, sondern eher an Mathis, der als gesuchter Aufrührer hier um Asyl hätte bitten können.« Sie nickte entschlossen. »Johann hat genau das getan, er hat um Kirchenasyl gebeten. Dies ist der Ort, am dem alle Feindschaft endet! Er wollte sich mit der Heiligen Lanze dem Schutz des Bischofs unterstellen. Als geistlicher Würdenträger hätte der Bischof bestimmt Interesse an so einer wertvollen Reliquie gehabt. Wahrscheinlich wollte Johann die Lanze eintauschen gegen sein Leben und das seiner Frau und seines Kindes. Das war vermutlich auch der Grund, warum sie die Lanze aus dem Trifels mitgenommen hatten. Als Faustpfand.«
»Aber irgendetwas ist entsetzlich schiefgegangen«, murmelte Melchior. »Sonst wäre Johann in Speyer nicht umgebracht worden.«
»Ich vermute, dass die Habsburger die Domfreiheit einfach missachtet haben. Oder der Bischof hat sich vom Kaiser bestechen lassen und Johann eiskalt ausgeliefert. Wir werden es nie erfahren.« Agnes seufzte. »Doch zumindest wissen wir jetzt, dass der Ort, an dem wir suchen müssen, wesentlich größer ist als zunächst angenommen. Es ist der ganze Dom und auch alle anderen Gebäude innerhalb der Domfreiheit. Die Bischofspfalz, die Dekanei, der Kreuzgang, die Kapellen draußen … Johann kann die Lanze überall auf dem Gelände versteckt haben.«
»Und wenn Euer Ritter die Lanze überhaupt nicht versteckt hat, sondern die Habsburger sie ihm doch abgenommen haben?«, hakte Melchior nach.
Agnes schüttelte den Kopf. »Die Habsburger haben Constanza danach noch tagelang gefoltert. Das hätten sie nicht getan, wenn sie die Lanze tatsächlich gefunden hätten. Nein, sie ist irgendwo hier.«
»Vergiss es, Agnes!« Friedrich von Scharfeneck lachte höhnisch. »Das ist doch nur wieder eine Finte, um unsere Suche noch weiter hinauszuzögern. Versteht Ihr nicht?« Er wandte sich an Melchior von Tanningen. »Sie will, dass wir so lange suchen, bis der Morgen anbricht und sie sich irgendeinem Pfaffen in die Arme werfen kann. Ihr werdet ihr diese Geschichte doch nicht abnehmen?«
»Nun, sie klingt zumindest nicht völlig unglaubwürdig.« Melchior zwirbelte nachdenklich seinen Spitzbart. »Das Kirchenasyl ist noch heute ein beliebtes Mittel, den weltlichen Häschern zu entfliehen. Es könnte tatsächlich sein, dass Johann beim Speyerer Bischof um Schutz gebeten hat. Der Bischof hatte großen Einfluss im Reich. Warum also nicht?« Er zuckte mit den Schultern. »Außerdem habe ich zurzeit keine bessere Idee. Lasst uns in Gottes Namen also im Dom und in der Umgebung suchen.« Mahnend hob er den Finger. »Allerdings nicht bis zum Morgengrauen, sondern nur bis vier Uhr früh. So lange sollten wir hier ungestört sein. Wenn wir bis dahin nicht fündig werden, erkläre ich unser Abenteuer für beendet, und Ihr, Scharfeneck …« Er machte eine Pause und betrachtete Agnes traurig mit einem verstohlenen Seitenblick. »Ihr könnt Eure Gattin endlich in die Arme schließen.«
Friedrich von Scharfeneck nickte. »Bis zum Vieruhrläuten, abgemacht. Aber dann ist endgültig Schluss.« Abwartend sah er seine Frau an. »Also, wo fangen wir an?«
Erneut schloss Agnes die Augen und versuchte sich zu konzentrieren. Nun, da sie wusste, dass sie auf der richtigen Fährte war, fiel es ihr leichter. Sie stellte sich Johann von Braunschweig vor, so wie sie ihn schon so oft in ihren Träumen gesehen hatte. Zuerst schemenhaft, dann immer deutlicher trat ein junger Mann aus dem Nebel ihrer Erinnerung. Er trug ein abgewetztes Kettenhemd und einen zerrissenen Umhang, auf einem Rappen ritt er bei strömendem Regen durch die Nacht, bis er endlich an den Mauern einer Stadt anlangte.
Die Stadt heißt Speyer …
Dunkel ragen die hohen Mauern empor, Wind und Regen peitschen die Weiden, dass sie wie das nasse Haar von Riesen aussehen. Johann kennt die Stadt, er ist als Abgesandter des Trifels schon öfter hier gewesen. Deshalb weiß er auch um jenes verborgene kleine Tor nördlich des Hafens, durch das er schon einmal hineingeschlüpft ist. Hastig löst er die Zügel seines Pferds, gibt ihm einen Abschiedsklaps, dann watet er durch Schilf und sumpfige Auen an der Mauer entlang, immer außer Sichtweite der Wachen. Manchmal sinkt
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