Die Burg der Könige
seiner Liebe zu einem Mädchen, das wie er schon lange zu Staub zerfallen war. Ob Johann diese Zeichnung damals wohl auch gesehen und an seine Frau gedacht hatte? Agnes durchfuhr ein Schauder. Hatte Constanza ihren Johann ebenso geliebt wie sie selbst ihren Mathis?
Der Schwindel war nun so stark, dass sie langsam mit dem Rücken an der Säule nach unten rutschte; es war, als würde ihr der nackte Stein Trost spenden. Plötzlich fühlte sie sich ganz eins mit dem Dom; wie im Trifels glaubte sie seinen Atem zu spüren, seine Stimme zu hören.
Sei gegrüßt, Agnes … Nimm mein Geschenk an …
In diesem Augenblick ertasteten ihre Finger hinter ihr einen Spalt. Er befand sich genau an der Stelle, wo die Rundung der Säule auf den kantigen unteren Teil eines Steinbogens traf. Beinahe wie von selbst glitt ihre Hand hinein, während sie noch immer das Bildnis im Stein betrachtete.
Nur wenige Augenblicke … Hier … Er war hier … Johann stand hier an der Säule …
Agnes’ Finger ertasteten ein Stück Tuch, in das etwas Hartes eingehüllt war. Als sie daran zog, klemmte es zunächst. Sie zerrte fester, und ganz langsam lockerte sich der Gegenstand.
»Was machst du da?«, wollte ihr Gemahl wissen, der ungeduldig im Mittelschiff auf und ab schritt. »Die Säule allein mit der Kraft der Engel herausreißen? Dir ist wohl das Gefasel von Märtyrertum zu Kopf gestiegen. Nun überleg endlich, wo …«
Er stockte, als Agnes mit einem erlösenden Schrei endlich das Bündel aus dem Schlitz hervorzog. Es war fleckig und schmutzig von Steinstaub und Schimmel, kleine Steinchen lösten sich und fielen zu Boden. Der Gegenstand, der in dem Tuch eingeschlagen war, war etwa so lang wie der Unterarm eines Mannes.
Am oberen Teil schaute eine eiserne Spitze hervor.
»Mein Gott!«, hauchte Melchior. »Die Heilige Lanze! Sie hat sie tatsächlich gefunden. Das ist ein Wink Gottes!«
Auch Mathis und die anderen Männer waren nun auf Agnes aufmerksam geworden. Schweigend sahen sie ihr dabei zu, wie sie niederkniete und langsam das Tuch entfaltete.
Darin war das obere Stück einer Lanze eingewickelt. Die Spitze war schartig und zerbrochen, jemand hatte sie mit Drähten umwickelt und darüber eine silberne Manschette angebracht. Eine Inschrift war darauf eingraviert, deren erste Worte Agnes wie einen Zauberspruch flüsterte.
» Clavus Dominicus. Der Nagel des Herrn …«
Melchior von Tanningen kniete nieder und schlug ein Kreuz. Selbst die drei Landsknechte neben ihm wirkten einen Moment lang ergriffen, so als würde die seltsam erhabene Stimmung auch ihre dunklen Herzen berühren. Allein Friedrich von Scharfeneck schüttelte skeptisch den Kopf.
»Das soll die echte Heilige Lanze sein?«, schnarrte er. »Ich hatte etwas weitaus Wertvolleres erwartet. Zum Teufel, warum hat Johann damals nicht die verfluchte Reichskrone mitgehen lassen? Da sind wenigstens Edelsteine dran.«
Melchior sah ihn indigniert an. »Was redet Ihr da? Der Wert der Heiligen Lanze ist um ein Vielfaches größer als alle Edelsteine der Welt zusammen! Sie ist Symbol für die wunderbarste Geschichte, die das Abendland je hervorgebracht hat.«
»Meint Ihr, das wüsste ich nicht? Für wie dumm haltet Ihr mich eigentlich, von Tanningen?« Friedrich zuckte die Achseln und stieß einen tiefen Seufzer aus. Plötzlich verzogen sich seine Mundwinkel wie bei einem bösen Scherz.
»Aber nur wegen einer schönen Geschichte hätten wir nicht die Kaisergruft schänden müssen«, fuhr er schließlich lächelnd fort. »Also verkauft mich nicht für blöd. Vor allem nämlich ist die Lanze der Beweis dafür, dass die Habsburger seit Johanns Diebstahl unrechtmäßig auf dem Thron sitzen. Keine Lanze, keine Krönung, nicht wahr? Seit Jahrhunderten hat man sich mit einer Fälschung beholfen.« Er machte eine unschuldige Miene, während seine Hand nach dem Griff seines Degens tastete. »Ich habe in den letzten zwei Tagen ein wenig nachgedacht und meine Pläne dementsprechend geändert. Was glaubt Ihr, was der Kaiser wohl dafür zahlen würde, dass das Original nicht in die falschen Hände kommt?«
Melchior von Tanningen sah den Grafen erstaunt an. »Ich fürchte, ich verstehe nicht …«
»Ihr versteht nicht? Nun, dann fragt am besten den ehrwürdigen Kaiser Rudolf von Habsburg selbst«, erwiderte Friedrich und gab seinen Männern einen Wink. »Wir haben den Platz neben ihm für Euch noch frei gelassen.«
Das Klicken einer Armbrust ertönte, und mit einem Ausdruck
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