Die Burg der Könige
mit schwerer Zunge. »Aber dass du mir meinen Kämmerer vergrault hast, das verzeih ich dir nicht! Als wenn ich hier nicht schon genug Sorgen hätte! Aber mach dir keine Hoffnungen, ich bring dich noch dieses Jahr unter die Haube. Und wenn ich dich mit dem Annweiler Stadtvogt verheirate. Ich brauche nun mal das Geld, verflucht!«
Eine plötzliche Böe zerrte an Agnes’ Kleid, und sie trat einen Schritt vom Felsrand zurück, um nicht zu stolpern und in die Tiefe zu stürzen. Schon wollte sie wieder nach hinten zu den Wirtschaftsgebäuden gehen, als sie unten bei den Schlossäckern einen kleinen dunklen Punkt bemerkte. Agnes blinzelte. Ihr Herz machte einen Sprung, als der Punkt nach und nach näher kam und sich als gebeugte Gestalt in einer Kutte erwies. Den ganzen Vormittag schon hatte sie auf dem Tanzfelsen ausgeharrt, nun endlich war es so weit. Ihr Hauslehrer, der Burgkaplan Pater Tristan, kehrte nach beinahe fünf Monaten wieder auf den Trifels zurück!
Schon bald konnte Agnes den zierlichen Mann deutlich zwischen den Feldern erkennen. Wie alle Zisterziensermönche trug Pater Tristan einen schwarzen Überwurf und darunter eine weiße Tunika, die vom langen Fußmarsch bräunlich und schlammverspritzt war. Als er Agnes oben auf dem Felsen bemerkte, winkte er ihr freundlich zu.
»Pater Tristan, Pater Tristan!«, rief sie, auch wenn sie wusste, dass er sie dort unten nicht hören konnte.
Mit klopfendem Herzen rannte Agnes durch den Burghof und durch das Tor hinaus auf die schmale Straße, bis sie jenseits des Brunnenturms endlich auf ihren Hauslehrer traf. Sie umarmte ihn stürmisch und drückte ihn fest. Der schmächtige Greis war neben ihrem Vater der einzige Mensch, bei dem sie sich manchmal noch wie ein kleines Mädchen fühlte. Nach einer Weile stieß Pater Tristan sie lachend weg und rang um Atem.
»Meine Güte, Agnes, du erstickst mich ja! Ich war doch nicht auf langer Pilgerfahrt in Rom, sondern nur im nahen Eußerthal!«
Doch als er ihr trauriges Gesicht sah, verdüsterte sich seine Miene augenblicklich. »Kind, was ist geschehen?«, fragte er sorgenvoll. »Du schaust so blass aus, als hättest du vor Kummer tagelang nichts gegessen.«
Pater Tristan zählte beinahe achtzig Jahre, sein Gesicht war voller Falten und Runzeln. Doch seine wachen Augen leuchteten freundlich und klug. Solange Agnes denken konnte, war der Mönch schon ihr Lehrer und Seelentröster. Wenn er jedes Jahr für einige Monate im Eußerthaler Kloster weilte, sehnte sie stets den Tag seiner Rückkehr herbei. Und gerade jetzt hatte sie seine Hilfe so nötig wie noch nie zuvor.
»Schlimme Dinge haben sich ereignet, während Ihr fort wart, Pater«, sagte Agnes düster. »Ich habe lange auf Euch gewartet.«
Pater Tristan lächelte milde. »Du weißt, dass ich die kalten, feuchten Winter auf der Burg nicht vertrage. Bei uns im Kloster wird eindeutig besser geheizt, außerdem hat mich Abt Weigand zur Überprüfung der Bilanzen gebraucht. Die neue Glocke mag zwar schön klingen, doch sie war nicht eben billig. Aber nun bin ich ja hier.« Er legte seinen Pilgerstab zur Seite und fasste Agnes an den Schultern. Dann sah er sie ernst an. »Also, erzähl schon, was ist geschehen?«
Agnes kämpfte mit den Tränen. »Der … der Vater hat Mathis ins Loch geworfen, weil er eine Arkebuse gestohlen hat«, begann sie leise. »Außerdem wird Mathis als Aufrührer vom Stadtvogt gesucht. Und ich soll den Heidelsheim heiraten, aber der ist nicht mehr da …« Ihre Stimme stockte.
»Ich sehe schon, deine Geschichte dauert etwas länger.« Pater Tristan griff wieder nach seinem Pilgerstab, der ihm als Gehhilfe diente, und führte sie sanft über den Burghof. »Was hältst du davon, wenn wir in die Bibliothek hinaufgehen und dort in Ruhe weiterreden?«, schlug er vor. »Dort kann ich auch ein Glas heißen Gewürzwein trinken. Die Kälte steckt mir altem Mann noch immer in den Knochen, und das, obwohl der Winter doch nun eigentlich hinter uns liegt.« Er schüttelte zornig den Kopf. »Dieses windige Wetter hat wirklich der Teufel gemacht!«
Agnes nickte erleichtert, und gemeinsam stiegen sie die Treppe hinauf zum Wohnturm.
Die Trifelser Bibliothek befand sich im dritten Geschoss der Burg, direkt über der Kapelle. Ein wagenradgroßes vergittertes Loch ließ den Blick frei auf den Kirchenraum darunter. Früher konnten hohe Persönlichkeiten von hier oben der Messe beiwohnen, ohne sich unters Volk mischen zu müssen. Es hieß, auch Könige und Kaiser
Weitere Kostenlose Bücher