Die Burg der Könige
seien darunter gewesen. Doch mittlerweile war das Loch nur noch ein zugiger Schacht, durch den der Wind blies. Agnes’ Vater sprach schon lange davon, es zumauern zu lassen, doch bisher hatte er den Plan nicht in die Tat umgesetzt.
Andächtig sah sich Agnes in dem großen quadratischen Raum um, wo in der linken Ecke ein Kachelofen munter vor sich hinbollerte. Ansonsten waren die Wände bis oben hin vollgestellt mit allerlei Regalen, in deren unterschiedlich großen Nischen eine Vielzahl von verschnürten Pergamentrollen, staubigen Kladden und ledernen Wälzern lagen. Hier auf dem Trifels befand sich noch immer das Hauptarchiv des Herzogtums Zweibrücken, und Pater Tristan war dessen Verwalter. Eine gleichermaßen interessante wie auch undankbare Aufgabe, denn viele der Bände waren nichts weiter als alte Inventarlisten und Rechnungen, die es zu nummerieren galt. Weitere Bestände lagerten in zahllosen morschen Kisten unten im Burgkeller, wo sie vor sich hinschimmelten und langsam zerfielen. Doch von Zeit zu Zeit stieß der Pater beim Sortieren der Akten und Listen auch auf wahre Schätze. Prächtig illustrierte Bildbände, alte Sammlungen von Balladen und Abhandlungen von griechischen Gelehrten wie Aristoteles und Platon … Agnes hatte ihre halbe Kindheit hier oben zwischen den Büchern verbracht.
»Ah, ich sehe, die gute Hedwig war bereits so freundlich, für uns einzuheizen«, sagte Pater Tristan und ging mit ausgestreckten Händen auf den Kachelofen zu. »Diese gottverfluchte Gicht, mein Kind! Sei froh, dass du noch jung bist.« Er griff nach einem Krug, der in einer Nische des Ofens stand, und goss sich zähneklappernd einen Becher dampfenden Gewürzwein ein. Auch Agnes fröstelte. Vor allem jetzt im Frühling glich die Burg einer Eishöhle. Die milden Sonnenstrahlen wollten das alte Gemäuer einfach nicht erwärmen.
»Und nun erzähl«, forderte Pater Tristan sie auf und nahm einen Schluck von dem heißen Getränk. Behaglich setzte er sich auf die warme Ofenbank, während Agnes vor ihm auf einem Schemel Platz nahm. »Und lass ja nichts aus«, drohte ihr der alte Mönch spielerisch mit dem Finger. »Schließlich bin ich noch immer dein Beichtvater.«
Agnes atmete tief durch, dann berichtete sie Pater Tristan von den Ereignissen der letzten Zeit. Auch von den Heiratsplänen ihres Vaters und von dem merkwürdigen Ring erzählte sie ihm. Pater Tristan lauschte schweigend, nur ab und an nahm er einen weiteren Schluck vom Gewürzwein.
»Und Heidelsheim ist einfach sang- und klanglos verschwunden?«, fragte er schließlich. »Er hat überhaupt nichts mitgenommen, keinen Abschiedsgruß hinterlassen?«
Als Agnes nickte, schüttelte der Mönch skeptisch den Kopf. »Das kann ich nicht glauben. Du weißt, Agnes, ich habe nie sehr viel von dem Kerl gehalten. Aber er war trotz allem ein kluger, zuverlässiger Verwalter. Das passt einfach nicht zu ihm. Er ist keiner, der gekränkt geht und alle seine Habseligkeiten zurücklässt. Ich fürchte fast, ihm ist etwas zugestoßen.«
Agnes seufzte. »Das werden wir wohl nie erfahren. Mein Vater lässt jedenfalls nicht nach ihm suchen. Er brütet bloß noch vor sich hin. Seitdem er die Pacht nicht mehr zahlen kann, ist es mit dem Trinken noch schlimmer geworden. Nur als er dem Annweiler Stadtvogt lautstark die Tür gewiesen hat, da war er ganz der Alte.« Sie lächelte, doch gleich darauf wurde sie wieder ernst. »Vater hat noch immer nicht gesagt, was er mit Mathis vorhat. Und besuchen darf ich ihn auch nicht.«
Pater Tristan wiegte nachdenklich den Kopf. »Der Stadtvogt wird sich nicht gefallen lassen, dass ihn Erfenstein so einfach hat abblitzen lassen«, murmelte er. »Das Recht ist auf Gesslers Seite. So wie ich ihn kenne, wird er einen Boten nach Heidelberg zum kurfürstlichen Hof geschickt haben. Das kann für deinen Vater noch böse enden.«
»Und vor allem für Mathis«, ergänzte Agnes düster.
Pater Tristan nickte, dann sah er Agnes aufmerksam an. »Dieser Ring, von dem du gesprochen hast. Dürfte ich ihn einmal sehen?«
»Natürlich.« Agnes zog den Ring, den sie bislang nur nachts und in unbeobachteten Momenten getragen hatte, vom Finger. Zögernd reichte sie ihn dem Mönch.
Pater Tristan rieb das Kleinod zwischen seinen knotigen Fingern, hob es ganz nahe an die Augen und betrachtete die Gravur. Dann sog er scharf die Luft ein.
»Kennt Ihr den Ring vielleicht?«, fragte Agnes hoffnungsvoll.
Der alte Mönch zögerte. Er schien etwas sagen zu wollen, doch
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