Die Burg der Könige
während er aus dem Dickicht trat, in dem er sich mit dem König versteckt gehalten hatte. »Das macht Euch so schnell keiner nach.«
Der Ritter scheuchte die Hunde weg, die kläffend und knurrend um den Kadaver sprangen, dann beugte er sich hinunter zu der Hirschkuh, deren Beine noch leicht zuckten. Mit seinem Hirschfänger schnitt er ihr die Kehle durch und wischte die Klinge an einem Seidentuch ab. »Der Bolzen hat das Tier mitten im Sprung erwischt.«
»Zu viel der Ehre, Montagne. Auf dreißig Schritt Entfernung hätte das auch meine siebenjährige Tochter Charlotte geschafft.«
König Franz I. von Frankreich reichte die Armbrust einem seiner Untergebenen, stand auf und strich sich die samtenen Beinlinge glatt. Überall in den Büschen erhoben sich nun Ritter, Jäger und einfache Soldaten, die Seiner allerheiligsten Majestät zum Schutz dienten. Etliche von ihnen eilten hinüber zu der toten Hirschkuh, wobei sie achtlos die kleinen Setzlinge zertrampelten. Nur Augenblicke später sah der Acker aus wie ein Schlachtfeld.
»Gebt den Hunden die Eingeweide und schickt die Treiber nach Hause!«, befahl Franz. »Die Jagd ist zu Ende. Jeder Mann erhält zwei Livre aus der königlichen Kasse und darüber hinaus einen Krug Madeirer!«
Die Jäger und Treiber stießen ein paar Hochrufe auf den König aus, dann verschwanden sie lachend zwischen den Bäumen. Schon bald war der König mit etwa einem Dutzend seiner treuesten Ritter allein. Guy de Montagne reichte ihm einen Pokal mit Wein, den Franz auf einmal hinunterstürzte. Genießerisch wischte der König sich über den Mund.
»Ich liebe diese Treibjagden!«, schwärmte er. »Das bringt mein Blut in Wallung, und ich vergesse die Sorgen des Alltags.« Er wandte sich an einen weiteren Ritter. »Wie geht es Euch dabei, Junker? Ihr schaut so nachdenklich drein.« Der Angesprochene war der junge Charles de Lasalle, der aus einem kleinen Städtchen ganz in der Nähe kam.
»Nun, bei allem Respekt, Eure Majestät«, begann der Ritter vorsichtig. »Es wäre wohl besser, wenn wir das nächste Mal in eine andere Gegend ausweichen. Es ist nun schon das dritte Mal, dass wir über die Felder der Bauern reiten. Bald werden sie nichts mehr zu essen haben.«
Franz lachte. Er hatte ein schön geschnittenes Gesicht mit sanften Augen, nur seine Nase war ein wenig zu lang geraten. Mit seinen knapp dreißig Jahren und weit über sechs Fuß Körpergröße sah er aus wie das Ideal eines französischen Helden. »Lasalle, Ihr sprecht Euch für die Bauern aus? Das ist löblich.« Plötzlich bekam seine Stimme etwas Schneidendes. »Dann sagt Euren Bauern gefälligst, dass sie sich glücklich schätzen können, dass kein Geringerer als der König über ihre Felder reitet. Es gibt Weiber, die halten mir ihre Kinder entgegen, nur damit ich sie segne. Und diese Trottel jammern und greinen wegen ein paar Äckern!«
Charles de Lasalle senkte den Blick. »Wenn sie jammern und greinen, dann nur weil sie hungern, Eure Majestät. Seitdem Ihr die Steuer vervierfacht habt …«
»Weil wir das Geld für die Kriege in Italien brauchen«, unterbrach ihn der König barsch. »Ist denn das so schwer zu begreifen? Es geht um nichts Geringeres als um die Herrschaft über Europa. Die Habsburger stehen in Spanien, in den Niederlanden und im Deutschen Reich, und wir werden dazwischen zerquetscht wie eine Laus. Wenn wir Frankreich zu seiner ihm zustehenden Größe verhelfen wollen, kann ich auf ein paar Hungerleider keine Rücksicht nehmen.«
Mürrisch wandte sich Franz ab und schritt auf den Kadaver der Hirschkuh zu, deren aufgebrochener Leib in der Kühle des Morgens dampfte. Bei der Wahl zum deutschen Kaiser vor einigen Jahren waren er und der Habsburger Karl die beiden aussichtsreichsten Kandidaten gewesen. Doch die deutschen Kurfürsten hatten sich letztlich für Karl entschieden, weil er die höheren Bestechungssummen geboten hatte – und weil er, so die Fürsten, als Habsburger von reinerem deutschem Blute sei. Dabei konnte Karl kaum einige Brocken Deutsch! Diese Niederlage hatte Franz um die Herrschaft über Europa gebracht, er hatte sie nie ganz verwunden. Alle Versuche, die Macht doch noch zu erlangen, waren bisher im Sande verlaufen. Im Gegenteil, erst letztes Jahr hatten kaiserliche und englische Truppen beinahe Paris eingenommen, Burgund drohte zu fallen, die Armee ging in Lumpen – es stand wahrlich nicht gut um das Schicksal Frankreichs. Franz lächelte grimmig.
Aber vielleicht gibt es
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