Die Burg der Könige
dann schüttelte er nur den Kopf. »Nein«, erwiderte er knapp. »Aber das Siegel kenne ich. Alles andere wäre bloße Vermutung.«
»Und? Was ist das für ein Siegel?«
»Nun, wie du bestimmt schon bemerkt hast, stellt es das Porträt eines bärtigen Mannes dar«, begann Pater Tristan leise und reichte den Ring zurück an Agnes. »Es gibt viele bärtige Männer, aber nur einer war so mächtig, dass der Bart sozusagen zu einem Symbol für den ganzen Mann geworden ist und ihm als Siegel diente.«
Agnes’ Herz klopfte schneller. »Und, wer war das?«
»Barbarossa.«
Der Name blieb eine ganze Weile im Raum stehen, während Agnes sich nachdenklich zurücklehnte. Kaiser Barbarossa tauchte in vielen der Geschichten auf, die sie hier oben in der Trifelser Bibliothek verschlungen hatte. Er war der erste der berühmten Kaiser aus dem Geschlecht der Staufer gewesen, die das Deutsche Reich vor etwa vierhundert Jahren mehrere Generationen lang regiert hatten. Groß und stark war Barbarossa gewesen, sein roter Bart legendär. Im hohen Alter war er dann während eines Kreuzzugs im Fluss Saleph ertrunken, doch es gab die hübsche Sage, er schlafe noch immer unter dem Trifels oder einem anderen Berg. Eine Legende, die wohl entstanden war, weil nach den Staufern im Reich eine kaiserlose Zeit angebrochen war, in der Recht und Gesetz lange nichts mehr galten.
»Heißt das, dieser Siegelring stammt von Kaiser Barbarossa persönlich?«, fragte Agnes schließlich erstaunt.
»Sicher nicht!« Pater Tristan lachte und lehnte sich behaglich an die warme Ofenwand. »Es gab viele solcher Ringe damals, musst du wissen. Jeder der Reichsministerialen, also der Bevollmächtigten des Kaisers, besaß einen, um im Namen Seiner Hoheit wichtige Dokumente zu siegeln. Aber wie dieser Ring an die Klaue deines Falken geraten ist, vermag auch ich nicht zu sagen. Vielleicht …« Er zögerte, und Agnes sah ihn erwartungsvoll an.
»Vielleicht was?«
Pater Tristan schüttelte den Kopf. »Unsinn. Ich werde wohl langsam alt und seltsam.« Er lächelte. »Nun, wenigstens das Letztere verbindet uns beide. Du warst nie ein, nun ja … einfaches Kind. Zu viele Träume können einem den Kopf verdrehen.«
»Ich … ich habe wieder einen Traum gehabt, Pater«, sagte Agnes leise. »So wie früher. Doch diesmal war er deutlicher als je zuvor. Zum ersten Mal kam er genau in der Nacht, in der ich den Ring fand. Seitdem hatte ich ihn bereits ein halbes Dutzend Mal.«
»Erzähl mir davon.«
Agnes berichtete ihm von dem Traum, den sie so stark erlebt hatte, als wäre er Wirklichkeit. Die letzten Male war er sogar noch eindringlicher gewesen. Immer hatte er damit geendet, dass der Jüngling in dem Kettenhemd sie ansah, als wollte er ihr etwas sagen.
»Es war der Trifelser Rittersaal, so wie er früher einmal ausgesehen hat!«, brach es aus ihr heraus. »Ganz sicher! Ich konnte alles genau erkennen. Die Sitznischen, der Kamin, sogar die Deckenvertäfelung war die gleiche!«
Der Mönch schwieg einen Moment, dann stand er mühsam auf und wandte sich den Regalen zu. »Warte einen Augenblick, mein Kind«, sagte er, »ich will dir etwas zeigen.«
Leise vor sich hinmurmelnd stöberte er ein wenig zwischen den ledernen Einbänden, dann zog er ein dickes Buch mit unregelmäßig beschnittenen und teilweise verkohlten Pergamentseiten hervor. Goldene Lettern prangten darauf. Vorsichtig legte Pater Tristan es auf den Tisch in der Mitte des Raumes und fing an, darin zu blättern.
»Hier«, sagte er schließlich. »Ist das der Saal, den du in deinem Traum gesehen hast?«
Agnes beugte sich über das aufgeschlagene Buch und erstarrte. Eine prächtig illustrierte, jedoch schon leicht vergilbte Zeichnung war darin abgebildet, darüber befanden sich verschlungene Lettern. Das Bild zeigte einen hohen Saal, in dem augenscheinlich ein Fest stattfand. Frauen und Männer in bunten langen Kleidern saßen an langen Tischen, Diener trugen köstliche Speisen herbei, ein Gaukler warf seine Bälle. Es war genau der Saal, den sie in ihrem Traum gesehen hatte.
»Mein Gott!«, hauchte sie.
»Es ist der Trifelser Rittersaal«, erwiderte der Mönch leise. »Die Zeichnung ist viele Hundert Jahre alt. Sie stammt aus der Zeit, als der Trifels noch eine kaiserliche Reichsburg war.«
»Es … es ist alles genauso wie in meinem Traum«, flüsterte Agnes. »Die Gäste, die Musikanten …« Plötzlich stockte sie. Mit zitternden Fingern deutete sie auf eine Gestalt am Rand des Saals, die sie erst
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