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Die Burg der Könige

Die Burg der Könige

Titel: Die Burg der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Pötzsch
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Trifels thronte. »Dort, wo heute die Schlossäcker liegen, befand sich früher ein riesiger Turnierplatz. Die Tjosten und Lanzenkämpfe, die dort ab­gehalten wurden, waren im ganzen Land berühmt. Auf diesem Platz sammelte Kaiser Heinrich VI., der Sohn Barbarossas, vor über dreihundert Jahren ein gewaltiges Heer, um in Si­zilien gegen die Normannen zu ziehen. Seine Frau war eine sizilianische Prinzessin, und so glaubte Heinrich, den dortigen Thron an sich reißen zu können. Damals kamen Krieger aus dem ganzen Reich auf dem Trifels zusammen, es müssen Tausende gewesen sein. Ritter zu Pferde, Waffenknechte, Fußvolk mit Bogen und Spießen …« Pater Tristan breitete die Arme aus, und Agnes erkannte in ihm wieder den alten Geschichtenerzähler, den sie als Kind so geliebt hatte.
    »Heinrich zog aus, siegte und rächte sich fürchterlich an seinen Feinden«, fuhr der Mönch fort. »Dem Anführer einer Verschwörung ließ er bei lebendigem Leib eine glühende Krone an den Kopf nageln. Als der Kaiser zurückkehrte, besaß er den gewaltigsten Schatz, den die Christenheit je gesehen hatte. Es heißt, der Normannenschatz sei so groß gewesen, dass hundertfünfzig Esel nötig waren, ihn auf den Trifels zu bringen. Ein prächtiger Krönungsmantel war darunter, aber vor allem viel Gold, Silber und Geschmeide.«
    »Und, wo ist der Schatz heute?«, fragte Agnes neugierig. »Offenbar nicht mehr auf dem Trifels, sonst hätte mein Vater ja keine Sorgen.«
    Pater Tristan lachte. »Da hast du recht! Nein, es heißt, Heinrichs Sohn, der berühmte Kaiser Friedrich II., den sie bis heute ›Stupor Mundi‹, das Staunen der Welt, nennen, habe ihn später nach Apulien bringen lassen, wo er von Friedrichs treuergebenen Sarazenen bewacht wurde. Und auch die Reichskleinodien sind leider nicht mehr hier.«
    »Die Reichskleinodien?« Agnes runzelte die Stirn. »Ihr meint die Insignien, die es zur Krönung des deutschen Königs braucht?« Sie wusste, dass seit Menschengedenken der König nach einem festen Zeremoniell gekrönt wurde, meist in der Kaiserpfalz Aachen. Dabei spielten die Reichskleinodien eine wichtige Rolle. Dass diese heiligen Gegenstände sich einst auf dem Trifels befunden hatten, war ihr neu. »Aber ich dachte, die Reichskleinodien lägen seit jeher in Nürnberg in einer Kirche?«, fragte sie.
    Pater Tristan schüttelte den Kopf. »Einst, zur Zeit der Staufer, wurden sie hier auf dem Trifels verwahrt. Die Zisterzienser aus dem Eußerthal waren ihre Hüter. Es sind die hei­ligsten Gegenstände des Reiches. Das Schwert Karls des Großen, der Reichsapfel, dazu Zepter, Krone, Krönungsmantel, Reichskreuz und natürlich die Heilige Lanze, mit der Jesus einst auf Golgatha durchbohrt wurde …« Der alte Mönch hielt inne, um erneut Atem zu schöpfen. Stöhnend streckte er sein Kreuz durch. »Immer wenn ein neuer König gekrönt wird, sind sie Teil des Zeremoniells, sie erst geben dem Herrscher seine Kraft. Ohne Reichskleinodien gibt es bis heute keine Krönung.« Er seufzte. »Aber die Kleinodien befinden sich schon lange nicht mehr hier. Nach dem Trifels kräht kein Hahn mehr, auch wenn dein Vater das oft nicht wahrhaben möchte.«
    »Aber in meinem Traum …«, begann Agnes, doch der Mönch unterbrach sie.
    »Vergiss deine Träume, Agnes«, sagte er barsch. »Du lebst im Hier und Jetzt. Außerdem sind wir bald da. Schau!«
    Er deutete mit seinem Stab durch die Bäume, wo mittlerweile das kleine Dorf Hahnenbach zu sehen war. Eine heruntergekommene Kirche stand inmitten einiger Bauernkaten, darum breiteten sich schwarze, frisch umgebrochene Felder aus. Zwei Bauern zogen mühsam einen Pflug durch die Furchen.
    Das Gesicht des Paters verdüsterte sich, als er die beiden Männer bei der Arbeit sah. »Letzten Winter während der großen Hungersnot haben die Leute hier ihren letzten Ochsen geschlachtet«, murmelte er. »Jetzt müssen sie sich selbst krümmen wie die Rindviecher. Eine Schande ist das!«
    Agnes blickte hinüber zu den Bauern, deren Pflug gerade im Schlamm stecken geblieben war. Schimpfend zerrten sie ihn heraus, bevor sie mit gebeugten Rücken ihre Arbeit fortsetzten. Ihre Hemden und Beinlinge waren schmutzig und zerschlissen, die Gesichter runzlig wie die von Greisen. Unwillkürlich musste Agnes an Mathis denken, der ihr immer wieder vom Leid der Bauern erzählt hatte. Oft waren ihr seine Predigten zu verbissen vorgekommen, doch beim Anblick der zwei dürren, gekrümmten Männer erschienen ihr seine Worte plötzlich

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