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Die Capitana - Roman

Die Capitana - Roman

Titel: Die Capitana - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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wollen und es gewagt hatte, ohne Familie, ohne Freunde, ohne einen Beruf auf dieses Schiff zu steigen und den Ozean zu überqueren, mit nicht mehr als den Kleidern auf seinem Leib und einer Hoffnung, die stärker war als alles andere. Seine Familie war in Odessa zurückgeblieben.
    Ganz anders die Lage von Shneidel, Nadia, wie sie genannt wurde, die zusammen mit ihren Eltern reiste, ihren fünf Geschwistern, Cousinen und Cousins und Freunden.
    Mein Großvater Naum-Nehemiah Milstein war ein Gelehrter, der in der Regierungszeit Alexanders II. – in der sich die Juden liberalerer Gesetze erfreuten – mit seinen Artikeln Berühmtheit erlangt hatte, und meine Großmutter, Sima-Liebe Waisman, war für eine Frau damals außerordentlich belesen. Aber dann kam dieses unselige Jahr 1881, die Ermordung des Zaren in Sankt Petersburg, und die daran anschließende Verfolgung der Juden, die man für das Verbrechen verantwortlich machte. Mein Großvater Naum saß fünf lange Jahre in Haft.
    Ich hörte so gern die Geschichte, wie ihnen die Flucht aus diesem Gefangenendasein gelungen war, dass ich immer wieder bettelte, Großvater, bitte, erzähl es noch einmal.
    Großvater Naum nahm Kontakt zu der Organisation auf, die den Landkauf in Argentinien abwickelte, und er schaffte es, sich mit seiner Familie der flüchtenden Gruppe anzuschließen.
    Für meine Mutter war Argentinien der Traum von einem Leben in Gemeinschaft, frei von Bedrohung. Für meinen Vater die Hoffnung auf eine bessere Welt, und dass er Nadia auf der Weser getroffen hatte, der Beweis, dass Glück möglich war.
    »Was treiben die beiden dort im Dunkeln?«, fragte meine Großmutter aufgebracht.
    »Wir werden heiraten, sobald wir in Argentinien angekommen sind«, erklärte Erch stolz. »Wir lieben uns.«
    »Ja, wir werden ein eigenes Haus haben, eigenes Land«, sagte Nadia. »Und unsere Kinder werden zur Schule gehen und den Beruf lernen, den sie möchten« – ein großer Wunsch der Familie Milstein, mussten ihre Großeltern anerkennen.
    »Darüber können wir immer noch reden, wenn ihr alt genug seid, jetzt erst mal geht jeder von euch in sich, und solche Treffen sind strikt verboten. Und keine Küsse, keine ungeduldigen Annäherungen.«
    Was ihnen niemand verbieten konnte, war ihre Freundschaft, die sich mit den Schwierigkeiten, mit denen sie bald zurechtkommen mussten, noch verstärkte. Lange bevor meine Eltern heirateten, verband sie eine große Freundschaft, Solidarität, und das hat meine Vorstellung von Partnerschaft sicherlich geprägt.
    Mehr als zehn Tage blieben sie im Hotel de Inmigrantes ihrem Schicksal überlassen. Lange Gesichter, flüsternde Stimmen, ersticktes Weinen.
    »Wann fahren wir zu unserem Land?«, fragte Nadia immer wieder.
    »Es ist nur eine kleine Verzögerung«, vertrösteten sie sie.
    Niemand erklärte irgendetwas. Obwohl Erch gar nicht zu der ursprünglichen Gruppe aus der Ukraine gehörte, betrachteten sie ihn, noch bevor sie vom Schiff stiegen, als ihresgleichen. Und jetzt sah man ihn hier und dort bei heimlichen Unterredungen mit Nadias Geschwistern und Cousins.
    »Was ist los? Erch, sag mir die Wahrheit«, stellte sie ihn zur Rede.
    »Auf den Ländereien, die ihr gekauft habt, ist schon jemand. Sie werden euch das Geld zurückgeben, aber deine Familie weiß nicht, wohin. Trotzdem, ich komme mit.«
    Sie hatten einen Ausschuss gebildet, der mit verschiedenen Personen verhandelte, um irgendwie aus dieser verwickelten Situation herauszukommen.
    »Wir finden schon eine Lösung, meine Liebste, vertrau uns.«
    Am Ende unterzeichneten sie eine Vereinbarung mit dem Großgrundbesitzer Palacios, der ihnen seine Ländereien in Santa Fe zur Verfügung stellte. Sie ließen sich in unmittelbarer Nähe zum Bahnhof nieder, an der Strecke Buenos Aires – Tucumán.
    Dort werden wir heiraten, träumte Nadia, dort werden unsere Kinder geboren werden.
    Und so war es. Denn an diesem Ort, an dem sie unter so vielen Entbehrungen leiden sollten, gründeten sie Moisés Ville, übersetzt aus dem Hebräischen Kiriat Moshé, in Erinnerung an den Auszug aus Ägypten und die Ankunft im Gelobten Land.
    Nichts war so, wie es ihnen von Palacios zugesagt worden war, es gab keine Schlafstätten, dafür Hunger, Elend, Krankheiten. Und Todesfälle wie der von Gutmans Sohn Abraham und von Sarah, der Jüngsten der Lifschitz’, die beide die harten Bedingungen nicht überlebten. Ebenso Feigue und Jacob. Alle tot. Sie begruben sie vor Ort, legten wilde Blumen auf ihre

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