Die Capitana - Roman
stellte mir ein paar Aufsätze zur Verfügung. Der Schriftgelehrte Waxemberg händigte mir eine Liste aus mit allen, die damals auf dem Dampfer Weser nach Argentinien gekommen waren. Die Schwestern Silvia, Nora und Lida Stuhlman teilten ihre Kindheitserinnerungen mit mir und ihren Ehemännern, während wir in Silvias Haus einen feinen Tee tranken. Beim Vergleichen von Angaben, Aussagen von Zeitzeugen und Dokumenten in den Archiven der Kolonie Moisés Ville, die sich in New York befinden, entdeckte ich, dass es zwischen Micaela Feldman und einer anderen Frau mit Namen Feldman (ein Kind anderer Eltern) zu Verwechslungen gekommen war.
In der ersten Zeit meiner Nachforschungen gab es noch kein Internet; als ich später die Website der Fundación Andreu Nin mit ihren wertvollen Informationen über den POUM entdeckte, war das wie ein Geschenk. Ich setzte mich mit Juan Manuel Mera in Verbindung und sprach mehrere Male mit ihm, er war es auch, der mir wichtige Bücher wie das von Katja Landau und Ignacio Iglesias besorgte.
Trotz des vielen Materials, das ich gesammelt hatte, verwarf ich immer wieder den Gedanken, tatsächlich ein Buch über Mika zu schreiben. Aber jedes Mal, wenn ich das Vorhaben fallen gelassen hatte, lauerte es mir an irgendeiner Biegung meines Lebens wieder auf. 2006 erzählte ich meinem italienischen Verleger Luigi Brioschi (der die Gabe besitzt, mir in einer halben Stunde einen Roman zu entlocken, an dem ich dann jahrelang schreibe) Mikas Geschichte, meine Begeisterung flammte für kurze Zeit wieder auf und verließ mich dann doch wieder. Der Zufall wollte es, dass ich mich im März 2007 in Paris in eine Wohnung in der Rue Campagne Première einquartierte. Vom Balkon dieses fünften Stocks aus ließ ich lange meinen Blick über die wunderbaren Zinkdächer und die sich vor dem nebligen Himmel abzeichnenden Schornsteine schweifen. Nur ein Stückchen weiter, hinter der Porte Royale, lag die Mansarde in der Rue Feuillantines, die Zeuge so vieler Träume geworden war.
Computer verstauben zwar nicht wie Schachteln, und doch entstaubte ich meine Dateiordner. Alles war da. Und ich am richtigen Ort. Jeden Tag streifte ich durch die Straßen, durch die Mika beim Ausliefern der Zeitschrift Que faire gegangen war, und als ich in die warme Wohnung zurückkam, empfingen mich das schöne Licht, die Räume, die Bücherwand, der Sessel, und die weite Freude, in ein Buch einzudringen. Ich hatte es nicht darauf angelegt, meine französische Verlegerin Anne-Marie Métailié hatte keine Ahnung, und schon gar nicht ihr Freund Pierre Séguy, der Besitzer der Wohnung, den ich nur einmal kurz gesehen hatte, als er mir die Schlüssel gab, bevor er auf Reisen ging, doch diese Wohnung in der Rue Campagne Première warf mich mitten hinein in die Geschichte von Mika und Hipólito. Ich sagte alle Verpflichtungen ab und begann, diesen Roman zu schreiben, am selben Abend meiner Rückkehr aus Périgny.
Es war ein eisiger, sonniger Sonntag, als Guillermo Núñez mich auf seinem Motorrad nach Périgny mitgenommen hatte. Oben auf einem Hügel standen die Reste von dem, was einmal Mikas Haus gewesen war. Dieses graue, verwilderte Grundstück war einmal das grüne Viereck, das Mika in ihren letzten Jahren in »ihren Ableger des Parks von Versailles« verwandelt hatte: mit Lilien und rotem Mohn, Tagetes, Rosen, Pflaumen- und Kirschbäumen.
Dank Ulrich Schreiber, dem Leiter des Internationalen Literaturfestivals Berlin, konnte ich an dem Projekt LiteraturRaum teilnehmen, so dass ich eine Weile mit meinen Figuren in Berlin verbringen konnte, auf Straßen und Plätzen den Zeilen ihres schönen Hefts nachgehen konnte, das Mika und Hipólito in den Jahren 1932 und 1933 geschrieben hatten. Ich sah mich in der glücklichen Lage, von Michi Strausfeld begleitet und unterstützt zu werden, die mir neben historischen Daten hervorragendes Bildmaterial über das Berlin der Dreißigerjahre besorgte. Der Fotograf Ekko von Schwichow, ein Stadtführer, wie man ihn nicht alle Tage bekommt, führte mich ins Innerste von Berlin, mit ihm sah ich, wo meine Figuren gewohnt haben müssen und wo sie sich mit ihren Kameraden der Gruppe Wedding versammelt haben. Meine Übersetzerin Stefanie Gerhold half mir, historische Stadtpläne aus dem Jahr 1932 zu finden, und hat die Kapitel über Berlin in meinem Originalmanuskript durchgesehen.
Bei den Archiven halfen mir Catherine Monier in Madrid und Nina Jaguer in Buenos Aires.
Während des langen Schreibens war mir
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