Die Champagnerkönigin
Weingut aufgewachsen, er kennt den Betrieb zehnmal besser als Sie. Mit ihm als Pächter wären die Weinberge und der Hof in den besten Händen. Alles ihm anzuvertrauen – damit täten Sie das Richtige!«
Isabelle nickte nachdenklich. Daniel Lambert und das Feininger-Land waren miteinander verwachsen wie die Ranken zweier Weinstöcke, die zu eng beieinanderstanden. Vor ihrem inneren Auge sah sie ihn bei den Rebstöcken stehen, einen zu langen Trieb abschneidend, eine Ranke anbindend. Er tat all diese Dinge, ohne nachzudenken, wohingegen sie jeden Handschlag erst einmal nachschlagen musste. Daniel … Ein sehnsuchtsvolles Ziehen machte sich in ihrer Brust breit. Sie schüttelte sich wie ein Hund, der in den Regen gekommen war.
Raymond, ermutigt von ihrem Nicken, sprach weiter: »Für Ihre kleine Tochter würde ich selbstverständlich auch bestens sorgen. In Reims gibt es ganz ausgezeichnete Heime, die Ordensschwestern von Notre-Dame haben einen guten Ruf, wenn es um … besondere Kinder geht. Etliche meiner adligen Kunden haben den Schwestern ihre Kinder ebenfalls zur Obhut überlassen, sie –«
»Margerite in ein Heim? Nie im Leben!«, unterbrach Isabelle ihn schrill. Ihr Herz begann schneller zu schlagen, gerade so, als würde sie einer tödlichen Gefahr ins Auge sehen. »Margerite ist das Beste, was mir je widerfahren ist. Sie gehört zu mir, und was immer geschehen sollte, ich werde mich nie von ihr trennen. Niemand, kein Mann auf dieser Welt, wäre mir das wert.« Ihre Augen funkelten, instinktiv nahm sie eine abwehrende Haltung an, als gälte es hier und jetzt, ihre Tochter zu beschützen.
»So war es nicht gemeint, ich weiß doch, wie sehr Sie an Ihrer Tochter hängen«, wiegelte Raymond sogleich erschrocken ab. »Ein Vorschlag meinerseits, mehr nicht. Es gibt so viele Möglichkeiten, und über alles lässt sich reden, nicht wahr?« Seine Stimme hörte sich plötzlich an wie ein verstimmtes Instrument.
Frankfurt. Saarbrücken. Metz.
»Bitte geben Sie mir Zeit« – mit diesen Worten hatte Isabelle das Gespräch abgebrochen. Seitdem herrschte ein Schweigen zwischen ihnen, das von Minute zu Minute qualvoller zu werden schien. Bei jeder kleinen Bewegung, die sie machte – wenn sie sich umsetzte, wenn sie etwas aus ihrer Tasche holte, wenn sie das Fenster einen Spaltbreit öffnete –, spürte sie Raymonds lauernden Blick auf sich ruhen. Er wartete auf ihre Antwort. Und er erwartete ein Ja.
Doch mit jedem Kilometer, den die Eisenbahn zurücklegte, entfernte sich Isabelle innerlich stärker von ihrem Reisebegleiter. Und mit jedem Kilometer, den sie der Champagne näher kam, wuchs gleichzeitig ihre Überzeugung, dass die Nacht mit Raymond ein Fehler gewesen war. Ein großer Fehler. Die Reise, die neuen Kunden, die prestigeträchtigen Aufträge, die ihre finanzielle Zukunft sicherten – für all das würde sie ihm immer dankbar sein. Doch Dankbarkeit und Liebe waren vielleicht Geschwister – ein Liebespaar waren sie nicht.
Sie trennten sich in Reims. Isabelle versprach, sich zu melden. Raymond nickte nur knapp. Dank seiner Lebenserfahrung hatte er längst verstanden, dass keine Antwort auch eine Antwort war. Ob er diese akzeptieren konnte, stand auf einem anderen Blatt.
Isabelle hatte von Berlin aus eine Nachricht an Lucille gesandt, in der sie ihre nahende Ankunft ankündigte – einen genauen Tag, an dem Claude sie abholen sollte, hatte sie dabei nicht genannt. Doch vor der Kathedrale Notre-Dame standen wie immer genügend Mietdroschken, bereit, nach Épernay, Hautvillers oder sonst wohin zu fahren. Schnell hatte Isabelle mit einem der Fahrer einen Preis ausgehandelt. Statt im Wageninneren Platz zu nehmen, bat Isabelle den Mann, neben ihm auf dem Bock sitzen zu dürfen. Sie brauchte dringend frischen Wind um die Nase!
Ein Schnalzen, und das Pferdegespann setzte sich in Bewegung. Das letzte Wegstück. Isabelle holte tief Luft, um des inneren Zitterns Herr zu werden, das sie befallen hatte. Gleich würde sie zu Hause sein! Endlich würde sie Margerite in die Arme schließen und küssen können. Sie würde Daniel wiedersehen. Und ihre Weinberge. Und dann waren da noch Micheline, Ghislaine, Claude und Lucille. Ihre Freunde … Für jeden hatte sie ein Mitbringsel im Gepäck, für Margerite natürlich gleich mehrere. Am liebsten hätte sie den Kutscher angespornt, schneller zu fahren, doch dies wäre ein vergebliches Unterfangen gewesen, da die Kutscher alles taten, um ihre Gespanne für die schweren
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