Die Chance seines Lebens
unterwegs einige Obdachlose mit Füßen getreten und ihre wenigen Habseligkeiten auf dem Fußweg verstreut. Lachend und lärmend trennten sie sich. Sein Vater schätzte es gar nicht, wenn er zu spät nach Hause kam.
Nico rannte die letzten Meter zum Haus und stürmte die Treppe hoch. Kaum hatte er die Tür geöffnet, klatschte die Hand seines Vaters gegen seinen Kopf. Der Schlag war kräftig, und so donnerte er mit dem Kopf gegen die Tür. Benommen schaute er seinen Vater an.
„Irgendwann erschlage ich dich, kein Verlass und kein Gehör! Warum muss ausgerechnet ich mit so einem Scheißer gestraft sein?“ Sein Vater schüttelte den Kopf und schlurfte ins Wohnzimmer. „Hätte deine Mutter dich lieber abtreiben lassen, so muss ich dich durchfüttern und habe nichts davon! Aber nein, sie musste ihren Kopf durchsetzen. Nur wegen dir musste sie sterben!“
Nico rieb sich seinen Kopf. Das hatte er sich schon so oft anhören müssen, dass es ihm egal war. Ja, wenn es mal so gewesen wäre, dann hätte er seine Ruhe und wäre gar nicht hier. Dabei beneidete er oft andere Jugendliche, die ein intaktes Elternhaus hatten . Aber diese Gedanken behielt er lieber für sich.
„Dein Bruder ist schon los, und du solltest ihn begleiten, wenn ihm jetzt was passiert, weil keiner Schmiere steht, dann prügel ich dich tot!“
Nico wurde aschfahl im Gesicht, das hatte er wirklich vergessen. Er verkrümelte sich in sein Zimmer und ließ sich nicht blicken.
Stunden später öffnete sich die Wohnungstür, und sein Bruder kam nach Hause.
Nico war heilfroh, ansonsten hätte ihn sein Vater wirklich tot geprügelt. Für ihn zählte soundso nur sein Bruder.
Kurz danach hörte er die Beiden im Wohnzimmer grölen, und so huschte er in die Küche. Leise holte er sich aus dem Kühlschrank etwas zu essen und ein Bier; genauso leise schlich er sich wieder in sein Zimmer zurück. Gut, dass seine Freunde nicht sehen konnten, dass der große Nico Angst hatte, dann wäre seine Zeit als Anführer vorbei! Und Angst vor seinem Vater und Bruder hatte er, das konnte er vor sich selbst nicht leugnen. Genau aus diesem Grund würde er auch nie jemanden mit nach Hause nehmen. Wie so oft dachte er an seine Mutter. Wenn sie nicht bei seiner Geburt gestorben wäre, vielleicht wäre vieles anders geworden. Vielleicht wären sie eine glückliche Familie! Nico ließ dieser Gedanke nicht los. Er seufzte.
Fabian wartete mit seinem Vater auf dem Flur im Krankenhaus. Die Ärzte waren noch immer mit seiner Mutter auf der Intensivstation beschäftigt. Ein Arzt kam heraus und sprach mit seinem Vater.
Fabian beobachtete sie und achtete auf jede Regung.
Sein Vater winkte, und sie durften einen kurzen Moment in das Zimmer seiner Mutter gehen.
Blass und regungslos lag sie auf dem Bett. Sie war mit verschiedenen Apparaten verkabelt.
Fabian konnte das Herz seiner Mutter schlagen hören und schaute angestrengt auf die Monitore.
Sein Vater flüsterte: „Sie wird wieder gesund, sie braucht nur viel Ruhe.“
Fabian nickte, das hatte er schon oft gehört, er glaubte aber nicht mehr daran. Er nahm die Hand seiner Mutter und drückte sie ganz zart, dennoch schlug sie nicht die Augen auf.
„Komm, wir lassen sie jetzt schlafen!“, entschied sein Vater, und so verließen sie das Krankenzimmer auf der Intensivstation. Auf dem Rückweg erzählte ihm sein Vater, dass er ab morgen länger arbeiten würde, denn er müsste die Stunden von heute nachholen, und das Geld der Überstunden könnten sie gut gebrauchen.
Die Gedanken überschlugen sich bei Fabian; insgeheim freute er sich darüber. Ja, da konnte er morgen in die Aula gehen und sich für den Wettbewerb anmelden. Es würde nicht auffallen, wenn er später nach Hause kommen würde. Seinen Vater konnte er nicht fragen, denn der würde es ihm niemals erlauben.
Der Wettbewerb
Fabian hatte es am nächsten Morgen eilig, er konnte es kaum erwarten. Er packte seine Geige ein und machte sich auf den Weg in die Schule.
Yasmina und Romina hatten sich diesmal im Schulbus getroffen. Sie wollten sich nach der Schule ebenfalls in der Aula einfinden. Romina wollte vortanzen und Yasmina vorsingen.
Fabian hatte seine Geige gerade im Schrank eingeschlossen, als die beiden Mädchen in die Schule kamen. Sie blieben bei ihm stehen und wechselten ein paar Worte mit ihm. Seine Verlegenheit bemerkten sie nicht. Nervös drehte er an seinem Rucksack. Gemeinsam gingen sie in den Klassenraum. Diesmal konnte Nico sie mit seinen
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