Die Chancellor
gebräuchli-
che Weg sei, und er hat mir geantwortet, daß er schon
wisse, was er zu tun habe.«
Bei diesen Worten zog Robert Kurtis mehrmals die
Augenbrauen zusammen, strich mit der Hand über die
Stirn und schien mir nicht alles auszusprechen, was er
sagen wollte.
»Inzwischen, Mr. Kurtis«, habe ich ihm gesagt, »wir
haben schon den 7. Oktober, und das scheint mir keine
geeignete Zeit, neue Schiffswege versuchsweise zu be-
fahren. Wenn wir noch vor Eintritt der schlechten Jah-
reszeit in Europa ankommen wollen, haben wir keinen
Tag zu verlieren.«
»Nein, Mr. Kazallon, nicht einen Tag!«
»Halten Sie mich für indiskret, Mr. Kurtis, wenn ich
Sie frage, was Sie von Kapitän Huntly halten?«
»Ich denke«, antwortete mir der zweite Offizier, »ich
denke, daß . . . er mein Kapitän ist!«
Diese ausweichende Antwort konnte nicht zu meiner
Beruhigung dienen.
Robert Kurtis hatte sich nicht getäuscht. Gegen
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3 Uhr meldete der auslugende Matrose: Land in Sicht
im Nordosten! Noch ist es freilich nur wie eine Dunst-
schicht sichtbar.
Um 6 Uhr begab ich mich mit den beiden Herren
Letourneur auf das Verdeck, und wir betrachteten die
im allgemeinen sehr flachen Bermudas-Inseln, die eine
Kette gefährlicher Riffe umschließt.
»Da liegt also der reizende Archipel«, beginnt An-
dré Letourneur, »die pittoreske Gruppe, die Ihr heimat-
licher Dichter, Thomas Moore, in seinen Oden geprie-
sen hat! Schon im Jahr 1643 lieferte der verbannte Wal-
ter eine enthusiastische Beschreibung davon, und wenn
ich nicht irre, wollten englische Damen eine Zeitlang
keine anderen Hüte tragen, als solche, die aus gewissen
Blättern einer bermudischen Palme geflochten waren.«
»Sie haben recht, lieber André«, antwortete ich, »der
Bermudas-Archipel war im 17. Jahrhundert sehr in
Mode; jetzt ist er allerdings ganz in Vergessenheit ge-
raten.«
»Übrigens, Herr André«, sagte da Robert Kurtis,
»die Dichter, die mit Enthusiasmus von diesem Archi-
pel sprechen, stimmen mit den Seeleuten keineswegs
überein; denn das Land, dessen Anblick so verführe-
risch erscheint, ist zu Schiff sehr schwierig zu errei-
chen, und der Klippengürtel, der sich halbkreisförmig
in der Entfernung von 2 bis 3 Stunden um es hinzieht,
wird von den Seefahrern mit Recht gefürchtet. Was die
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ewige Heiterkeit des Himmels betrifft, die von den Be-
wohnern der Bermudas so gern hervorgehoben wird,
so unterbrechen diese ziemlich häufig gerade die hef-
tigsten Stürme. Über diese Inseln rasen die Ausläufer
der Wirbelstürme, die in den Antillen oft so viel Unheil
anrichten, ja, und eben jene Ausläufer sind, ebenso wie
der Schweif des Walfischs, am meisten zu fürchten. Ich
für meinen Teil möchte aber Seefahrern auf dem Atlan-
tischen Ozean nicht raten, den Berichten eines Walter
oder Thomas Moore zu viel Glauben beizumessen.«
»Herr Kurtis«, hebt da lächelnd André Letourneur
an, »Sie mögen wohl recht haben. Die Dichter gleichen
häufig den Sprichwörtern, das eine widerspricht immer
dem anderen. Hat Thomas Moore und Walter diesen
Archipel als einen wundervollen Aufenthalt gepriesen,
so hat dagegen der größte Ihrer Dichter, Shakespeare,
der ihn ohne Zweifel besser kannte, die schrecklichs-
ten Szenen seines ›Sturms‹ dahin verlegen zu sollen ge-
glaubt.«
In der Tat sind die Umgebungen des Bermudas-Ar-
chipels eine sehr gefährliche Gegend. Die Engländer,
denen die Inselgruppe seit ihrer Entdeckung gehört,
benutzen sie nur als einen zwischen den Antillen und
Neu-Schottland eingeschobenen Militärposten.
Übrigens scheint jener, und zwar in großem Maßstab,
zu wachsen bestimmt. Mit der Zeit – dem Prinzip, dem
die größten Schöpfungen der Natur ihre Entstehung
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verdanken – dürfte dieser Archipel, der jetzt schon über
150 Inseln zählt, eine noch weit größere Menge aufwei-
sen, denn unablässig sind die Sternkorallen tätig, neue
Bermudas aufzubauen, die sich nach und nach unterei-
nander verbinden, und wohl einen neuen Kontinent zu
bilden berufen sind.
Weder die drei anderen Passagiere, noch Mrs. Kear
haben sich die Mühe gemacht, das Verdeck zu bestei-
gen, um den merkwürdigen Archipel zu betrachten.
Was Miss Herbey angeht, so war sie nur auf dem Ober-
deck erschienen, als sich schon die näselnde Stimme
von Mrs. Kear vernehmen ließ und das junge Mädchen
wieder neben ihrer launischen Herrin Platz zu nehmen
nötigte.
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