Das silberne Dreieck
1 - Ein Bilderrätsel
Das »Megaphon« brachte eine Abhandlung über die großen Änderungen, die die allgemein geltenden Anschauungen im Laufe der letzten Jahre erfahren hatten:
... Selbst die ›Vier Gerechten‹ sind eine achtbare, ehrenwerte Einrichtung geworden. Vor noch nicht mehr als fünfzehn Jahren sprachen wir von ihnen als einer »Verbrecherbande«; Belohnungen für ihre Verhaftung wurden ausgesetzt ... Heute findet man über der Tür eines ruhigen Hauses in der Curzon Street ein silbernes Dreieck: das Geschäftszeichen ihres Hauptquartiers ... Die Gejagten und Verachteten haben ein höchst vornehmes Detektivbüro gegründet ... Wir können nur hoffen, daß ihre etwas drastischen Methoden früherer Zeiten sich gemildert haben.
Manchmal ist es gefährlich, jemanden beobachten zu lassen, von dem man selbst vielleicht einmal beobachtet werden kann.
»Was fürchtet Mr. Lewis Letherson?« fragte Manfred, als er beim Frühstück kunstgerecht sein Ei köpfte. Sein hübsches, glattrasiertes Gesicht war tiefbraun gefärbt - er war gerade von der Sonne und dem Schnee der Schweizer Alpen zurückgekehrt.
Leon Gonsalez, in die »Times« vertieft, saß ihm gegenüber, und Raymond Poiccart, dessen energische Züge beinahe an Augiers »Mephisto« erinnerten, saß am Ende des Tisches. Geschicktere Federn als die meine haben seine Leidenschaft für den Gemüsebau beschrieben.
Er blickte auf Gonsalez.
»Ist das der Herr, der unser Haus den ganzen letzten Monat hindurch beobachten ließ?«
Ein feines Lächeln spielte um Leons Lippen, als er sorgfältig die Zeitung zusammenlegte.
»Das ist der Herr; ich will ihn nachher aufsuchen. Die Spürhunde sind übrigens zurückgezogen worden, es waren Angestellte von Ottis Detektivbüro.«
»Wenn er uns beobachten läßt, muß er ein schlechtes Gewissen haben«, sagte Poiccart nachdenklich. »Ich bin neugierig, was sich daraus entwickeln wird.«
Mr. Lewis Letherson wohnte in einem großen, kostspieligen Haus in der Lower Berkeley Street. Der Diener, der Leon die Tür öffnete, trug eine Livree, die sehr gut in eine Operette, aber nicht in ein Haus der Lower Berkeley Street paßte. Jackett in Samt und Gold und Kniehosen ... Leon starrte ihn ehrfurchtsvoll an.
»Mr. Letherson läßt Sie in die Bibliothek bitten«, sagte die glänzende Erscheinung; der Mann schien sich seiner eigenen Bedeutung sehr bewußt zu sein.
Ein prächtiges Haus, kostbar eingerichtet, verschwenderisch geschmückt. Als Leon die breite Treppe hinaufging, sah er flüchtig eine schöne Frau über den Treppenabsatz gleiten. Ein hochmütiger Blick traf ihn, dann verschwand sie in einer Wolke eines eigenartigen Parfüms.
Die »Bibliothek«, in die er geführt wurde, hätte man der kostbaren Zierlichkeit der Einrichtung wegen für einen Damensalon halten können.
Mr. Letherson erhob sich hinter dem Empireschreibtisch und hielt dem Besucher eine schlanke weiße Hand entgegen. Er war hager, beinahe kahlköpfig, und sein gefurchtes Gesicht ließ an einen Gelehrten denken.
»Mr. Gonsalez?« Die schrille Stimme klang nicht besonders angenehm. »Wollen Sie nicht Platz nehmen? Ich habe Ihre Anfrage erhalten - da scheint mir ein Mißverständnis vorzuliegen.«
Er hatte selbst wieder Platz genommen. Obwohl er seine Unruhe hinter der geschäftsmäßig kühlen Maske zu verbergen suchte, war sie dem aufmerksamen Besucher nicht ganz entgangen.
»Ich kenne natürlich Ihren Namen, aber warum sollte ich Ihr Haus beobachten lassen? Das wäre doch lächerlich.«
Gonsalez blickte ihn prüfend an.
»Um das zu erfahren, bin ich ja gekommen«, sagte er, »und ich halte es für richtiger, Ihnen sofort mitzuteilen, daß über die Tatsache an sich kein Zweifel besteht. Wir kennen die Agentur, die Sie beauftragt haben, uns zu beobachten; wir kennen die Honorare, die Sie gezahlt haben; sogar die Instruktionen, die Sie gaben, sind uns bekannt. Die Frage ist nur - warum?«
Mr. Letherson rückte unbehaglich auf seinem Sessel hin und her. Mit erzwungenem Lächeln antwortete er schließlich:
»Wirklich - unter den Umständen wäre es unklug, es noch länger abzuleugnen. Die Veranlassung ist nämlich ... Hm - die ›Vier Gerechten‹ sind eine machtvolle Organisation ... Und ... hm ... nun, ich bin ein reicher Mann ...« Er fühlte wohl selbst, wie lahm die Erklärung klang, und brach ab.
Die Unterredung endete mit Höflichkeitsversicherungen auf beiden Seiten.
Leon Gonsalez kam nachdenklich in die Curzon Street zurück. »Er ist in
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