Die Chirurgin
läuft noch immer in die Bauchhöhle«, beobachtete Littman. »Das funktioniert nicht.«
Sie starrte in die Wunde und sah, wie die Blutlache sich stetig erneuerte. Wo zum Teufel kommt es nur her?, dachte sie. Und plötzlich bemerkte sie, dass auch aus anderen Stellen permanent Blut sickerte. Nicht nur aus der Leber, sondern auch aus der Bauchdecke, aus dem Dünndarm. Aus den Schnitträndern in der Haut.
Sie warf einen Blick auf den linken Arm des Patienten, der unter den sterilen Tüchern herausschaute. Der Verbandmull auf dem intravenösen Zugang war blutgetränkt.
»Ich brauche sofort sechs Einheiten Thrombozyten und Plasma«, ordnete sie an. »Und legen Sie eine Heparininfusion. Zehntausend Einheiten i.v. sofort, danach tausend Einheiten pro Stunde.«
»Heparin?«, fragte Barrows perplex. »Aber er droht zu verbluten …«
»Es handelt sich um DIC«, erklärte Catherine. »Er braucht Antigerinnungsmittel.«
Littman starrte sie entgeistert an. »Wir haben die Laborergebnisse noch nicht. Woher wissen Sie, dass es DIC ist?«
»Bis wir die Gerinnungswerte haben, ist es zu spät. Wir müssen jetzt handeln.« Sie nickte der Schwester zu.
»Her damit.«
Die Schwester senkte die Nadel in die Öffnung des Infusionsschlauchs. Die Gabe von Heparin war ein verzweifeltes Glücksspiel. Wenn Catherines Diagnose korrekt war und der Patient an DIC litt – disseminierter intravasaler Koagulopathie – dann bildeten sich überall in seinem Blut gewaltige Mengen von Thromben, wie ein mikroskopisch kleiner Hagelsturm, und verbrauchten alle seine kostbaren Gerinnungsfaktoren und Blutplättchen. Ein schweres Trauma oder eine zugrunde liegende Krebserkrankung oder Infektion konnte eine unkontrollierte Massenproduktion von Thromben auslösen. Weil durch DIC Gerinnungsfaktoren und Blutplättchen aufgebraucht wurden, die beide zur Blutgerinnung notwendig waren, begann der Patient auszubluten. Um der DIC Einhalt zu gebieten, mussten sie Heparin verabreichen, einen Gerinnungshemmer. Es war eine seltsam paradoxe Behandlungsmethode. Es war auch äußerst riskant. Wenn Catherines Diagnose falsch wäre, würde das Heparin die Blutung noch verschlimmern.
Als ob es noch schlimmer werden könnte. Ihr Rücken schmerzte, und ihre Arme zitterten vor Anstrengung, während sie versuchte, den Druck auf die Leber aufrechtzuerhalten. Ein Schweißtropfen glitt ihr über die Wange und sickerte in ihre Maske.
Das Labor meldete sich wieder über die Sprechanlage.
»Schockraum 2, ich habe die Werte für den unbekannten Patienten.«
»Schießen Sie los«, sagte die Schwester.
»Die Thrombozyten sind auf tausend runter. Die Prothrombinzeit ist sehr hoch, bei dreißig. Außerdem hat er Fibrinabbauprodukte. Sieht aus, als hätte Ihr Patient einen ausgewachsenen Fall von DIC.«
Catherine entging nicht Barrows’ erstaunter Blick. Medizinstudenten sind so leicht zu beeindrucken.
»Kammertachykardie! Er wird tachykard!«
Catherines Blick schoss zum Monitor. Ein Sägezahnmuster jagte über den Schirm hinweg. »Blutdruck?«
»Nein. Ich habe ihn verloren.«
»Wiederbelebung starten. Littman, Sie sind für die Koordination verantwortlich.«
Das Chaos zog sich wie ein Gewittersturm zusammen; mit immer größerer Gewalt wirbelte es um sie herum. Ein Kurier kam mit frisch gefrorenem Plasma und Blutplättchen hereingestürmt. Catherine hörte, wie Littman mit lauter Stimme Herzmedikamente orderte, und sie sah, wie eine Schwester beide Hände auf das Brustbein des Patienten legte und zu pumpen begann. Ihr Kopf hob und senkte sich rhythmisch wie bei einem mechanisch pickenden Aufziehvogel. Mit jeder Herzkompresse versorgten sie das Gehirn mit Blut und hielten es am Leben. Aber sie verstärkten auch die Blutungen.
Catherine starrte in die Bauchhöhle des Patienten herab. Immer noch drückte sie die Leber zusammen, immer noch stemmte sie sich gegen die Flutwelle der Blutung. Bildete sie es sich nur ein, oder war es tatsächlich so, dass sich der Blutstrom, der wie ein Bündel glänzender Schnüre durch ihre Finger geronnen war, sich zu verlangsamen begann?
»Schocken wir ihn«, sagte Littman. »Einhundert Joule …«
»Nein, warten Sie. Sein Rhythmus ist wieder da!«
Catherine sah auf den Monitor. Sinustachykardie! Das Herz pumpte wieder, doch das bedeutete auch mehr Blut in den Arterien.
»Haben wir eine normale Durchblutung?«, rief sie. »Was macht der Blutdruck?«
»Blutdruck ist bei … neunzig zu vierzig, Ja !«
»Rhythmus stabil. Weiterhin
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