Die Chirurgin
Sinustachykardie.«
Catherine blickte in die offene Bauchhöhle. Die Blutung war bis auf ein kaum wahrnehmbares Sickern versiegt. Sie stand da und hielt die Leber in beiden Händen, während sie auf das regelmäßige Piepsen des Monitors lauschte. Musik in ihren Ohren.
»Leute«, sagte sie. »Ich glaube, wir haben ihn durchgebracht.«
Catherine streifte ihren blutigen Kittel und die Handschuhe ab und verließ hinter der Fahrtrage mit dem unbekannten Patienten den Schockraum 2. Die Muskeln in ihren Schultern zuckten und zitterten vor Überanstrengung, doch es war ein gutes Gefühl. Die Erschöpfung nach dem Sieg. Die Schwestern schoben die Fahrtrage in den Lift, um den Patienten auf die chirurgische Intensivstation zu bringen. Catherine wollte ihnen eben folgen, als sie hörte, wie jemand ihren Namen rief.
Sie drehte sich um und sah einen Mann und eine Frau auf sie zukommen. Die Frau war klein und sah grimmig drein; eine Brünette mit kohlschwarzen Augen und einem Blick wie ein Laserstrahl. Sie trug ein strenges blaues Kostüm, das ihr ein beinahe militärisches Aussehen verlieh. Ihr viel größerer Begleiter ließ sie noch kleiner wirken. Er war Mitte vierzig und hatte dunkles Haar mit silbrigen Strähnen. Sein immer noch auffallend hübsches Gesicht durchfurchten tiefe Falten, die ihn ausgesprochen ernsthaft wirken ließen. Doch es waren die Augen, die Catherines Aufmerksamkeit auf sich zogen. Sie waren von einem weichen Grau und unergründlich.
»Dr. Cordell?«, fragte er.
»Ja.«
»Ich bin Detective Thomas Moore, und das ist Detective Rizzoli. Wir sind von der Mordkommission.« Er hielt seine Dienstmarke hoch, doch es hätte ebenso gut ein Imitat aus Plastik sein können. Sie sah kaum hin; Moore selbst nahm ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch.
»Können wir uns irgendwo in Ruhe unterhalten?«, fragte er.
Sie warf den Schwestern einen Blick zu, die im Fahrstuhl mit dem unbekannten Patienten warteten. »Gehen Sie schon mal vor«, rief sie ihnen zu. »Dr. Littman wird die Verordnung schreiben.«
Erst nachdem die Fahrstuhltür sich geschlossen hatte, wandte sie sich an Detective Moore. »Geht es um den Unfall mit Fahrerflucht, der eben reingekommen ist? Es sieht nämlich so aus, als würde er durchkommen.«
»Wir sind nicht wegen eines Patienten hier.«
»Sie sagten doch, Sie seien von der Mordkommission?«
»Ja.« Es war sein ruhiger Tonfall, der sie beunruhigte. Ein sanfter Hinweis darauf, dass sie sich auf schlechte Nachrichten gefasst machen musste.
»Ist es – o Gott, ich hoffe, es geht nicht um jemanden, den ich kenne.«
»Es geht um Andrew Capra. Und um das, was Ihnen in Savannah zugestoßen ist.«
Einen Moment lang brachte sie keinen Ton heraus. Ihre Beine fühlten sich plötzlich taub an, und sie streckte eine Hand nach der Wand hinter ihr aus, als habe sie Angst, das Gleichgewicht zu verlieren.
»Dr. Cordell?«, sagte Moore, der plötzlich besorgt klang. »Geht es Ihnen nicht gut?«
»Ich glaube … ich glaube, wir sollten uns in meinem Büro unterhalten«, flüsterte sie. Abrupt wandte sie sich um und ging auf den Ausgang der Notaufnahme zu. Sie sah nicht nach, ob die Beamten ihr folgten, sondern strebte weiter auf ihr Büro im angrenzenden Klinikgebäude zu, das ihre Zuflucht war. Sie hörte ihre Schritte unmittelbar hinter sich, während sie durch die Gänge des ausgedehnten Gebäudekomplexes steuerte, der sich Pilgrim Medical Center nannte.
Was Ihnen in Savannah zugestoßen ist.
Sie wollte nicht darüber reden. Sie hatte gehofft, niemals wieder mit irgendjemandem über Savannah sprechen zu müssen. Aber diese Leute waren Polizisten, und ihren Fragen konnte sie sich nicht entziehen.
Endlich erreichten sie eine Büroflucht, an deren Eingang zu lesen war:
Dr. med. Peter Falco
Dr. med. Catherine Cordell
Allgemeine Chirurgie und Gefäßchirurgie
Sie betrat das vordere Büro. Die Sekretärin blickte auf und begrüßte sie mit einem automatischen Lächeln, das jedoch auf ihren Lippen erstarrte, als sie Catherines aschfahles Gesicht sah und die beiden Fremden bemerkte, die nach ihr eingetreten waren.
»Dr. Cordell? Ist irgendetwas nicht in Ordnung?«
»Wir sind in meinem Büro, Helen. Bitte stellen Sie keine Gespräche durch.«
»Ihr erster Patient kommt um zehn. Mr. Tsang, Nachuntersuchung wegen Milzexstirpation …«
»Streichen Sie den Termin.«
»Aber er kommt extra von Newbury hergefahren. Er ist wahrscheinlich schon unterwegs.«
»Also gut, dann soll er warten.
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