Die Chirurgin
wollte.
Er begann das Klebeband zu durchschneiden, mit dem ihr rechtes Handgelenk an den Bettpfosten gefesselt war.
Ihr Herz pochte heftig, und sie dachte, er müsse bestimmt sehen, wie es gegen ihre Rippen schlug. Die Fessel auf der rechten Seite löste sich, und ihre Hand fiel schlaff herab. Sie rührte sich nicht, spannte nicht einen Muskel an.
Eine halbe Ewigkeit lang war es still. Komm schon. Schneid meine linke Hand los! Mach schon!
Zu spät fiel ihr auf, dass sie die Luft angehalten hatte. Und er hatte es bemerkt. Voller Verzweiflung hörte sie das ratschende Geräusch des Klebebands, als er einen neuen Streifen von der Rolle abzog.
Jetzt oder nie.
Blindlings griff sie nach dem Tablett mit den Instrumenten, und das Wasserglas flog herunter, die Eiswürfel kullerten geräuschvoll über den Boden. Ihre Finger schlossen sich um einen stählernen Gegenstand. Das Skalpell!
Er stürzte sich auf sie, doch im gleichen Moment schwang sie das Skalpell und spürte, wie die Klinge auf einen Widerstand stieß.
Mit einem Schmerzensschrei wich er zurück und hielt sich die Hand.
Sie warf sich zur Seite und schnitt mit dem Skalpell das Klebeband durch, mit dem ihr linkes Handgelenk gefesselt war. Jetzt hatte sie beide Hände frei!
Blitzartig richtete sie sich im Bett auf, und plötzlich wurde ihr schwarz vor Augen. Ein ganzer Tag ohne Wasser hatte sie geschwächt. Sie kämpfte gegen das Schwindelgefühl an und versuchte den Blick auf ihr rechtes Fußgelenk zu richten, um mit dem Skalpell das Band durchschneiden zu können. Halb blind fuhr sie mit der Klinge darüber und spürte einen stechenden Schmerz. Ein kräftiger Ruck, und das Gelenk war frei.
Sie streckte sich nach der letzten Fessel.
Der schwere Wundhaken krachte gegen ihre Schläfe, ein so brutaler Schlag, dass Lichtblitze vor ihren Augen zuckten.
Der zweite Schlag traf sie an der Wange. Sie hörte den Knochen splittern.
Sie bekam nicht mehr mit, dass ihr das Skalpell aus der Hand fiel.
Als sie aus der Bewusstlosigkeit auftauchte, pochte das Blut in ihrem Gesicht, und mit dem rechten Auge konnte sie nichts sehen. Sie versuchte ihre Arme und Beine zu bewegen und musste feststellen, dass sie wieder an Hand- und Fußgelenken an das Bettgestell gefesselt war. Aber ihren Mund hatte er noch nicht zugeklebt. Noch hatte er sie nicht zum Schweigen gebracht.
Er stand am Fuß des Bettes und blickte auf sie herab. Sie sah die Flecken auf seinem Hemd. Sein Blut, dachte sie mit einem Gefühl primitiver Befriedigung. Seine Beute hatte zurückgeschlagen und ihm eine blutende Wunde beigebracht. Mich besiegt man nicht so leicht. Angst ist sein Lebenselixier; ich werde ihm keine zeigen.
Er nahm ein Skalpell vom Tablett und trat auf sie zu. Ihr Herz hämmerte gegen ihre Brust, doch sie lag reglos da, den Blick fest auf ihn gerichtet. Trotzig, herausfordernd. Sie wusste jetzt, dass ihr Tod unvermeidlich war, und dieses Eingeständnis war wie eine Befreiung. Es verlieh ihr den Mut der zum Tode Verurteilten. Zwei Jahre lang hatte sie wie ein verwundetes Tier in ihrem Versteck gekauert. Zwei Jahre lang hatte sie Andrew Capras Geist über ihr Leben bestimmen lassen. Damit war jetzt Schluss.
Los doch, schlitz mich auf. Aber du wirst nicht gewinnen. Du wirst es nicht erleben, dass ich geschlagen in den Tod gehe.
Er berührte ihren Bauch mit der Skalpellspitze. Unwillkürlich spannten sich ihre Muskeln an. Er wartete darauf, dass die Angst sich in ihrem Gesicht zeigte.
Doch sie ließ ihn nur ihren Trotz spüren. »Du kannst es nicht ohne Andrew, was?«, sagte sie. »Ohne ihn kriegst du noch nicht mal einen hoch. Andrew musste das Vögeln übernehmen. Du konntest ihm nur dabei zuschauen.«
Er drückte zu, und die Spitze bohrte sich in ihre Haut. Noch in ihrem Schmerz, noch während die ersten Blutstropfen hervorquollen, hielt sie den Blick unverwandt auf ihn gerichtet. Sie ließ keine Angst erkennen, verweigerte ihm jede Befriedigung.
»Du kannst gar keine Frau vögeln, hab ich Recht? Nein, dein Held Andrew musste das erledigen. Und er war auch ein Loser.«
Die Hand mit dem Skalpell hielt inne. Hob sich ein Stück. Sie sah sie dort in dem fahlen Licht über ihr schweben.
Andrew. Andrew ist der Schlüssel, der Mann, den er vergöttert. Sein Idol.
»Ein Loser, ja. Andrew war ein Loser«, sagte sie. »Du weißt doch, weshalb er damals zu mir gekommen ist, nicht wahr? Er kam, um zu betteln.«
»Nein.« Ein kaum hörbares Flüstern.
»Er hat mich gebeten, ihn nicht zu
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