Die Chirurgin
finanziellen Transaktionen. Das also war inzwischen aus dem Fall geworden: eine Schnitzeljagd. Man geht dem Geld nach, und schon findet man Hoyt. Sie sah Kreditkartenabrechnungen, Schecks, Einzahlungen und Abhebungen. Jede Menge große Zahlen. Der Tod von Hoyts Eltern hatte ihn zu einem wohlhabenden jungen Mann gemacht, und jeden Winter hatte er sich ausgedehnte Reisen in die Karibik oder nach Mexiko gegönnt. Sie fand keinen Hinweis auf eine Zweitwohnung, keine Mietrechnungen, keine Daueraufträge.
Natürlich nicht. Er war ja nicht dumm. Wenn er sich ein Versteck hielt, würde er bar dafür bezahlen.
Bargeld. Man weiß nie, wann einem vielleicht das Bargeld ausgeht. Abhebungen von Geldautomaten waren oft spontane, ungeplante Transaktionen.
Sie blätterte die Kontoauszüge durch und notierte sämtliche Abhebungen von Geldautomaten auf einem getrennten Blatt. Meist hatte er Automaten in der Nähe seiner Wohnung oder des Medical Center benutzt, also im Radius seiner normalen täglichen Aktivitäten. Es war aber das Ungewöhnliche, wonach sie suchte, es waren die Transaktionen, die nicht in sein Bewegungsmuster passten.
Sie fand zwei. Eine in einer Bank in Nashua, New Hampshire, am 26. Juni. Die andere Abhebung war am 13. Mai an einem Geldautomaten in Hobbs’ Supermarkt in Lithia, Massachusetts, erfolgt.
Sie lehnte sich zurück und fragte sich, ob Moore wohl schon diese beiden Lokalitäten ins Visier genommen hatte. Bei all den anderen Details, denen sie nachzugehen hatten, bei all den Vernehmungen von Hoyts Laborkollegen, war es durchaus denkbar, dass zwei Abhebungen an Geldautomaten auf der Prioritätenliste des Teams nicht ganz oben standen.
Sie hörte Schritte und sah erschrocken auf. Sie fürchtete schon, beim Lesen von Frosts Papieren ertappt worden zu sein, doch es war nur ein Mitarbeiter des kriminal-technischen Labors. Er lächelte Rizzoli an, warf eine Mappe auf Moores Schreibtisch und ging wieder hinaus.
Rizzoli wartete einen Augenblick, dann stand sie auf und ging zu Moores Schreibtisch, um einen Blick in die Mappe zu riskieren. Die erste Seite war ein Laborbericht, eine Analyse der hellbraunen Haare , die auf Warren Hoyts Kopfkissen gefunden worden waren.
Trichorrhexis invaginata, übereinstimmend mit dem in der Wunde des Opfers Elena Ortiz gefundenen Haar. Volltreffer. Das bewies, dass Warren Hoyt tatsächlich ihr Kandidat war.
Sie schlug die nächste Seite auf. Auch dies war eine Haaranalyse. Es ging um ein Haar, das auf Hoyts Badezimmerboden gefunden worden war. Dieser Fund ergab keinen Sinn. Er passte nicht ins Bild.
Sie klappte die Mappe zu und machte sich auf den Weg zum Labor.
Erin Volchko saß vor dem Elektronenmikroskop und sah einen Stapel Mikrofotografien durch. Als Rizzoli das Labor betrat, hielt Erin eine Aufnahme hoch und forderte sie auf: »Schnell! Was ist das?«
Rizzoli betrachtete stirnrunzelnd das Schwarzweißfoto eines schuppigen Bandes. »Ganz schön hässlich.«
»Ja, aber was ist es?«
»Wahrscheinlich irgendwas Ekliges. Das Bein einer Kakerlake zum Beispiel.«
»Es ist ein Haar von einem Hirsch. Cool, was? Sieht einem Menschenhaar kein bisschen ähnlich.«
»Apropos Menschenhaare.« Rizzoli drückte ihr den Bericht in die Hand, den sie gerade gelesen hatte. »Können Sie mir mehr darüber sagen?«
»Die Haare aus Warren Hoyts Wohnung?«
»Genau.«
»Die kurzen braunen Haare auf Hoyts Kopfkissen weisen Trichorrhexis invaginata auf. Er scheint tatsächlich Ihr gesuchter Täter zu sein.«
»Nein, ich meine das andere Haar. Das schwarze von seinem Badezimmerboden.«
»Ich zeige Ihnen mal das Foto.«
Erin griff nach einem anderen Stapel Mikrofotografien. Sie begann sie durchzugehen und zog schließlich eine Aufnahme heraus. »Das ist das Haar aus dem Badezimmer. Sehen Sie die Zahlenreihen hier?«
Rizzoli betrachtete das Foto und las die Aufschrift in Erins säuberlicher Handschrift. A00-B00-C05-D33. » J a. Was immer das heißen soll.«
»Die ersten zwei Werte, A00 und B00, verraten Ihnen, dass das Haar gerade und schwarz ist. Unter dem Verbundmikroskop können Sie noch weitere Einzelheiten erkennen.« Sie reichte Rizzoli das Foto. »Sehen Sie sich den Schaft genau an. Er ist überdurchschnittlich dick. Und beachten Sie auch, dass der Querschnitt nahezu kreisförmig ist.«
»Und das bedeutet?«
»Es ist ein Merkmal, das uns hilft, zwischen den verschiedenen Rassen zu unterscheiden. Ein Schaft von einem afrikanischen Subjekt ist zum Beispiel fast ganz platt,
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