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Die Chirurgin

Die Chirurgin

Titel: Die Chirurgin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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unbedingt wissen, wie er sich rehabilitieren könne. Ob er reinkommen und mit ihr darüber reden könne?
    Bei einem Bier hatten sie sich über Capras Leistungen während seiner Facharztausbildung unterhalten. Über all die Fehler, die er begangen hatte; die Patienten, denen er durch seine Nachlässigkeit hätte schaden können. Sie beschönigte nichts: Capra würde durchfallen, man würde ihm nicht erlauben, das Chirurgieprogramm zu Ende zu führen. Irgendwann im Lauf des Abends hatte Catherine das Zimmer verlassen, um zur Toilette zu gehen, und war dann zurückgekehrt, um das Gespräch fortzusetzen und ihr Bier auszutrinken.
    Als sie wieder zu sich gekommen war, hatte sie sich in ihrem Bett wiedergefunden, nackt und mit einer Nylonschnur gefesselt.
    Der Polizeibericht schilderte in allen entsetzlichen Einzelheiten den nun folgenden Albtraum.
    Die Fotos, die man im Krankenhaus von ihr gemacht hatte, zeigten eine Frau mit gehetztem Blick, einer blau angelaufenen und fürchterlich angeschwollenen Wange. Was er auf diesen Bildern sah, ließ sich in einem Oberbegriff zusammenfassen: ein Opfer.
    Es war kein Wort, das man auf die merkwürdig gefasst wirkende Frau angewendet hätte, der er heute begegnet war.
    Während er jetzt noch einmal Cordells Aussage durchlas, konnte er ihre Stimme in seinem Kopf hören. Die Worte waren nicht mehr die eines anonymen Opfers, sondern die einer Frau, deren Gesicht er kannte.
    Ich weiß nicht, wie ich meine Hand freibekommen habe. Ich habe starke Abschürfungen am Handgelenk, also muss ich sie wohl mit Gewalt aus der Fessel gezogen haben. Es tut mir Leid, aber meine Erinnerungen sind ziemlich verschwommen. Ich weiß nur noch, dass ich nach dem Skalpell gegriffen habe. Ich wusste, ich musste das Skalpell von dem Tablett wegnehmen. Ich musste die Schnur durchschneiden, bevor Andrew zurückkam …
    Ich erinnere mich, dass ich mich zum Bettrand hingewälzt habe. Dass ich halb auf den Boden gefallen bin und mir den Kopf angeschlagen habe. Dann versuchte ich, die Pistole zu finden. Ich habe sie von meinem Vater. Nachdem die dritte Frau in Savannah ermordet worden war, bestand er darauf, dass ich sie behalten sollte.
    Ich weiß noch, dass ich unter das Bett gegriffen habe. Ich packte die Pistole. Ich erinnere mich an Schritte, die auf das Zimmer zukamen. Und dann – ich bin mir nicht sicher. Dann muss ich ihn wohl erschossen haben. Ja, ich glaube, so ist es gewesen. Man hat mir gesagt, ich hätte zweimal auf ihn geschossen. Das muss wohl richtig sein.
    Moore hielt inne und grübelte über die Aussage nach. Die Ballistik hatte bestätigt, dass beide Projektile aus der Waffe abgefeuert worden waren, die neben dem Bett gefunden worden und auf den Namen von Catherines Vater registriert war. Durch die im Krankenhaus durchgeführten Blutuntersuchungen konnte das Vorhandensein von Rohypnol in ihrem Blut nachgewiesen werden. Das Medikament beeinträchtigte das Erinnerungsvermögen, was zu ihrer lückenhaften Erinnerung an den Überfall passte. Die Ärzte, die Cordell in der Notaufnahme behandelt hatten, beschrieben ihren Zustand als verwirrt, entweder durch die Wirkung des Medikaments oder infolge einer möglichen Gehirnerschütterung. Nur ein heftiger Schlag konnte solche Blutergüsse und Schwellungen im Gesicht verursacht haben. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wie oder wann ihr dieser Schlag zugefügt worden war.
    Moore wandte sich den Tatortfotos zu. Im Schlafzimmer lag Andrew Capra tot am Boden, flach auf dem Rücken ausgestreckt. Er war zweimal getroffen worden, einmal in den Bauch und einmal ins Auge. Beide Schüsse waren aus kurzer Entfernung abgefeuert worden.
    Er betrachtete die Fotos lange und eingehend; dabei achtete er besonders auf die Lage der Leiche und auf das Muster der Blutflecken.
    Er wandte sich dem Obduktionsbericht zu. Las ihn zweimal durch.
    Betrachtete erneut das Tatortfoto.
    Irgendetwas stimmt hier nicht, dachte er. Cordells Aussage ergab keinen Sinn.
    Plötzlich klatschte eine Mappe auf seinen Schreibtisch. Aufgeschreckt hob er den Kopf und erblickte Rizzoli.
    »Haben Sie sich das schon mal zu Gemüte geführt?«, fragte sie.
    »Was ist es?«
    »Der Bericht über das Haar, das am Wundrand von Elena Ortiz’ Leiche gefunden wurde.«
    Moore überflog den Bericht bis zum letzten Satz. Und sagte: »Ich habe nicht die geringste Ahnung, was das bedeutet.«
     
    Im Jahr 1997 wurden die verschiedenen Abteilungen der Bostoner Polizei unter einem Dach vereinigt, nämlich unter dem

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