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Die Chirurgin

Die Chirurgin

Titel: Die Chirurgin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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stellst.«
    Sie verließen die Intensivstation und betraten den Korridor. Der schlaksige Peter ging an ihrer Seite mit seinem typischen federnden, raumgreifenden Gang. Während sie mit dem Aufzug fuhren, fragte er: »Fehlt dir irgendwas, Catherine?«
    »Wieso? Sehe ich etwa so aus?«
    »Ehrlich nicht?« Er sah sie prüfend an; der Blick seiner blauen Augen war so direkt, dass sie sich bedrängt fühlte.
    »Du siehst so aus, als brauchtest du ein Glas Wein und einen netten Abend in einem Restaurant. Wie wär’s, wenn du dich mir anschließt?«
    »Ein verlockender Vorschlag.«
    »Aber?«
    »Aber ich glaube, ich bleibe heute Abend lieber zu Hause.«
    Peter griff sich an die Brust, als sei er tödlich verwundet.
    »Schon wieder abgeschossen! Sag mir nur eins – gibt es irgendeine Masche, die bei dir zieht?«
    Sie lächelte. »Das musst du schon selbst rausfinden.«
    »Wie wär’s damit: Ein kleines Vögelchen hat mir gesungen, dass du am Samstag Geburtstag hast. Komm doch mit auf eine Runde in meinem Flugzeug.«
    »Kann nicht. An dem Tag hab ich Bereitschaft.«
    »Du kannst mit Ames tauschen. Ich rede mit ihm.«
    »Ach, Peter. Du weißt doch, dass ich nicht gerne fliege.«
    »Erzähl mir nicht, dass du unter Flugangst leidest.«
    »Ich kann es bloß nicht gut ertragen, wenn ich nicht alles unter Kontrolle habe.«
    Er nickte ernsthaft. »Klassische Chirurgenpersönlichkeit.«
    »Nette Art zu sagen, dass ich verklemmt bin.«
    »Also, mit der Verabredung zum Fliegen ist es wohl Essig? Ich kann dich nicht umstimmen?«
    »Ich glaube nicht.«
    Er seufzte. »Na ja, das war’s dann wohl. Mehr Anmachen hab ich nicht drauf.«
    »Ich weiß. Du wiederholst dich allmählich schon.«
    »Das sagt Helen auch.«
    Sie warf ihm einen überraschten Blick zu. »Helen gibt dir Tipps, wie du mich am besten zu einem Date überreden kannst?«
    »Sie sagte, sie könne den erbarmungswürdigen Anblick eines Mannes, der mit dem Kopf gegen eine Betonmauer anrennt, nicht länger ertragen.«
    Lachend traten sie aus dem Aufzug und gingen auf ihre Büroflucht zu. Es war das entspannte Lachen zweier Kollegen, die wussten, dass das ganze Geplänkel nicht wirklich ernst gemeint war. Solange es auf dieser Ebene blieb, wurden keine Gefühle verletzt, keine Emotionen aufs Spiel gesetzt. Ein harmloser kleiner Flirt, der sie beide vor ernsthaften Verwicklungen bewahrte. Im Scherz bat er sie, mit ihm auszugehen, im Scherz ließ sie ihn abblitzen – und die ganze Abteilung durfte mitlachen.
    Es war schon halb sechs, und ihre Mitarbeiter hatten bereits Feierabend gemacht. Peter zog sich in sein Büro zurück, während sie das ihre betrat, um ihren Laborkittel aufzuhängen und ihre Handtasche zu holen. Als sie den Kittel an den Türhaken hängte, kam ihr plötzlich ein Gedanke.
    Sie durchquerte den Korridor und steckte den Kopf durch Peters Tür. Er hatte die Brille aufgesetzt und war damit beschäftigt, Krankenblätter durchzusehen. Im Gegensatz zu ihrem eigenen blitzsauberen Büro herrschte bei Peter das Chaos in Reinkultur. Der Abfalleimer war mit Papierfliegern vollgestopft; Bücher und chirurgische Fachzeitschriften stapelten sich auf den Stühlen. Eine Wand war fast gänzlich von einem außer Kontrolle geratenen Philodendron überwuchert. Irgendwo in diesem Dschungel waren Peters Urkunden vergraben: ein Diplom in Flugzeugbau vom Massachusetts Institute of Technology, der Dr. med. von der Medizinischen Fakultät in Harvard.
    »Peter? Ich weiß, das ist jetzt eine dumme Frage …«
    Er beäugte sie über den Brillenrand hinweg. »Dann bist du hier an der richtigen Adresse.«
    »Bist du in meinem Büro gewesen?«
    »Sollte ich meinen Anwalt anrufen, bevor ich diese Frage beantworte?«
    »Komm schon, ich meine es ernst.«
    Er straffte sich und erwiderte ihren angespannten Blick.
    »Nein, bin ich nicht. Wieso?«
    »Ach, nichts. Es ist nicht weiter wichtig.« Sie wandte sich zum Gehen und hörte hinter sich das Knarren seines Stuhls. Er war aufgestanden und folgte ihr in ihr Büro.
    »Was ist nicht weiter wichtig?«, fragte er.
    »Das ist eben meine zwanghafte Ader. Ich rege mich auf, wenn irgendetwas nicht da ist, wo es sein sollte.«
    »Wie zum Beispiel?«
    »Mein Laborkittel. Ich hänge ihn immer an die Tür, und irgendwie landet er auf dem Aktenschrank oder auf dem Stuhl. Ich weiß, dass Helen es nicht war, und auch nicht die anderen Sekretärinnen. Ich habe sie gefragt.«
    »Wahrscheinlich hat die Putzfrau ihn runtergenommen.«
    »Und außerdem treibt es

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