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Die Chirurgin

Die Chirurgin

Titel: Die Chirurgin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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Das ist eine autosomal-rezessive Erbkrankheit, die die Bildung von Keratin beeinflusst. Keratin oder Hornstoff ist ein zähes, faseriges Protein, das sich in Haaren und Nägeln findet. Es bildet auch die äußere Schicht unserer Haut.«
    »Wenn also ein genetischer Defekt vorliegt und das Keratin sich nicht normal entwickelt, dann ist das Haar geschwächt?«
    Erin nickte. »Und vielleicht ist nicht nur das Haar betroffen. Menschen mit Netherton-Syndrom haben manchmal auch Hautleiden. Ausschläge und Schuppenbildung.«
    »Wir suchen also nach einem Täter mit einem ernsthaften Schuppenproblem?«, meinte Rizzoli.
    »Vielleicht ist es noch auffälliger. Manche dieser Patienten leiden unter einer schwerwiegenden Variante, die als Ichthyosis bekannt ist. Ihre Haut kann so trocken werden, dass sie wie die eines Alligators aussieht.«
    Rizzoli lachte. »Unser Gesuchter ist also der Reptilienmann! Das dürfte die Suche vereinfachen.«
    »Nicht unbedingt. Wir haben Sommer.«
    »Was hat das denn damit zu tun?«
    »Diese feuchte Hitze ist gut für die trockene Haut. Um diese Jahreszeit sieht er vielleicht vollkommen normal aus.«
    Rizzoli und Moore sahen einander an; beiden ging ein und derselbe Gedanke durch den Kopf.
    Beide Opfer wurden im Sommer getötet.
    »Solange diese Hitzewelle anhält«, sagte Erin, »geht er wahrscheinlich unbemerkt in der Masse unter.«
    »Wir haben erst Juli«, bemerkte Rizzoli.
    Moore nickte. »Seine Jagdsaison hat gerade erst begonnen.«
     
    Der unbekannte Patient hatte inzwischen einen Namen. Die Schwestern der Unfallstation hatten an seinem Schlüsselanhänger ein Ausweiskärtchen gefunden. Er hieß Herman Gwadowski und war neunundsechzig Jahre alt.
    Catherine stand am Bett ihres Patienten in der chirurgischen Intensivstation und beobachtete sorgfältig die Monitore und Apparate, die um ihn herum arrangiert waren. Der Leuchtpunkt des Oszilloskops zeigte einen normalen EKG-Rhythmus an. Der Blutdruck wurde mit 110/70 angezeigt, und die Messwerte für den zentralen Venendruck hoben und senkten sich wie Wellen auf stürmischer See. Den Zahlen nach zu urteilen, war Mr. Gwadowskis Operation ein Erfolg gewesen.
    Aber er wacht nicht auf, dachte Catherine, während sie mit ihrer Taschenlampe zuerst in die linke, dann in die rechte Pupille leuchtete. Fast acht Stunden nach dem Eingriff lag er immer noch in einem tiefen Koma.
    Sie richtete sich auf und beobachtete, wie sich seine Brust im Rhythmus des Respirators hob und senkte. Sie hatte ihn vor dem Verbluten bewahrt. Aber was hatte sie in Wirklichkeit gerettet? Einen Körper, dessen Herz schlug, dessen Gehirn jedoch nicht funktionierte.
    Sie hörte, wie jemand gegen die Scheibe klopfte. Durch das Fenster in der Trennwand sah sie, wie ihr Kollege Dr. Peter Falco ihr zuwinkte. Seine normalerweise heitere Miene war einem besorgten Ausdruck gewichen.
    Manche Chirurgen sind dafür bekannt, dass sie im OP ausrasten und Wutanfälle bekommen. Manche kommen mit selbstgefälliger Miene hereingerauscht und legen feierlich ihren OP-Anzug an wie eine Königsrobe. Andere wiederum sind kühle, effiziente Techniker, für die Patienten lediglich eine Ansammlung reparaturbedürftiger Einzelteile sind.
    Und dann war da noch Peter. Der lustige, übermütige Peter, der im OP ebenso lautstark wie falsch Elvis-Songs trällerte, der im Büro Papierflieger-Wettbewerbe veranstaltete und nichts dabei fand, auf dem Fußboden herumzukrabbeln, um mit seinen kleinen Patienten in der Pädiatrie Lego zu spielen. Sie war gewohnt, auf Peters Lippen ein Lächeln zu sehen. Als sie nun bemerkte, wie er sie stirnrunzelnd durch die Scheibe anstarrte, ging sie augenblicklich zu ihm hinaus.
    »Alles in Ordnung?«, fragte er.
    »Ich mache nur eben meine Runde fertig.«
    Peter beäugte die Schläuche und Apparate, von denen Mr. Gwadowskis Bett umgeben war. »Ich habe gehört, du hast eine fantastische Rettung hingelegt. Eine OP mit zwölf Einheiten Blutkonserven!«
    »Ich weiß nicht, ob man es eine Rettung nennen kann.«
    Ihr Blick fiel wieder auf ihren Patienten. »Alles arbeitet normal, nur die grauen Zellen nicht.«
    Sie schwiegen beide für einen Moment und sahen zu, wie Mr. Gwadowskis Brust sich hob und senkte.
    »Helen sagte mir, heute seien zwei Polizisten bei dir gewesen«, sagte Peter. »Worum ging es denn da?«
    »Es war nichts Wichtiges.«
    »Hast wohl vergessen, deine Strafzettel zu bezahlen?«
    Sie lachte gezwungen. »Genau, und ich zähle darauf, dass du die Kaution für mich

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