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Die Chirurgin

Die Chirurgin

Titel: Die Chirurgin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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hatte keine übernatürlichen Erkenntnisse gegeben, keine Hinweise aus dem Jenseits, nur Bilder, ausgelöst von den Zuckungen ihrer Gehirnzellen. Und dennoch maß Rizzoli ihrem Traum eine gewisse Bedeutung bei. Er verriet ihr, wie wichtig dieser Fall für sie war. Die Ermittlungen in einem so Aufsehen erregenden Fall zu leiten, war wie ein Hochseilakt ohne Netz. Mach den Täter dingfest, und alle applaudieren. Versage, und alle Welt guckt zu, wie du abstürzt und auf den Boden klatschst.
    Dieser Fall hatte wirklich Aufsehen erregt. Vor zwei Tagen war die Schlagzeile auf der Titelseite der hiesigen Boulevardzeitung erschienen: »Der Chirurg schwingt wieder das Messer.« Dem Boston Herald hatten sie es zu verdanken, dass ihr Unbekannter nun einen Spitznamen trug, den sogar die Polizei übernommen hatte: Der Chirurg.
    Aber wie wild war sie schließlich auf diesen Hochseilakt gewesen; wie bereitwillig hatte sie das Risiko auf sich genommen, entweder über der Masse zu schweben oder in die Tiefe zu stürzen. Als sie vor einer Woche in der Funktion der leitenden Ermittlerin Elena Ortiz’ Wohnung betreten hatte, da hatte sie augenblicklich gewusst, dass dies der Fall war, der ihrer Karriere auf die Sprünge helfen würde. Und sie brannte darauf, sich zu beweisen.
    Wie schnell das Blatt sich gewendet hatte.
    Innerhalb eines einzigen Tages hatte sich ihr Fall zu einer viel umfassenderen Ermittlung ausgeweitet, die von Lieutenant Marquette aus ihrer eigenen Abteilung geleitet wurde. Der Fall Elena Ortiz war mit dem Fall Diana Sterling zusammengelegt worden, und das Team war auf fünf Detectives angewachsen. Neben Marquette waren das Rizzoli und ihr Partner Barry Frost, Moore und sein schwergewichtiger Partner Jerry Sleeper und ein fünfter Detective namens Darren Crowe. Rizzoli war also die einzige Frau im Team. Nicht nur das, sie war auch die einzige Frau in der gesamten Mordkommission, und manche Männer erinnerten sie immer wieder daran. Nun ja, mit Barry Frost kam sie ganz gut aus, trotz seines aufreizend sonnigen Gemüts. Jerry Sleeper war zu phlegmatisch, als dass sich irgendjemand über ihn hätte aufregen können – oder er sich über irgendjemand anders. Und was Moore betraf – nun, ihren anfänglichen Vorbehalten zum Trotz fing er tatsächlich an, ihr zu gefallen, und sie respektierte ihn aufrichtig wegen seiner ruhigen, methodischen Arbeitsweise. Aber was das Wichtigste war, er schien auch sie zu respektieren. Wann immer sie etwas sagte, konnte sie sicher sein, dass Moore zuhörte.
    Nein, es war der fünfte Polizist im Team, Darren Crowe, mit dem sie ein Problem hatte. Ein gewaltiges Problem. Jetzt saß er ihr am Tisch gegenüber, mit dem üblichen selbstzufriedenen Grinsen auf seinem sonnengebräunten Gesicht. Mit Jungs wie ihm war sie groß geworden. Jungs mit einer Menge Muskeln, einer Menge Freundinnen. Einer Menge Ego.
    Sie und Crowe verachteten einander.
    Ein Stapel Kopien wurde herumgereicht. Rizzoli nahm sich ein Blatt und sah, dass es ein Verbrecherprofil war, das Dr. Zucker erstellt hatte.
    »Ich weiß, dass einige von Ihnen meine Arbeit für faulen Zauber halten«, sagte Zucker. »Ich möchte Ihnen daher meine Argumentation erläutern. Über unseren unbekannten Täter wissen wir Folgendes: Er dringt durch ein offenes Fenster in die Wohnung des Opfers ein. Er tut dies in den frühen Morgenstunden, irgendwann zwischen Mitternacht und zwei Uhr früh. Er überrascht das Opfer im Bett. Setzt es sofort mittels Chloroform außer Gefecht. Er zieht die betroffene Frau aus und macht sie bewegungsunfähig, indem er ihre Hand- und Fußgelenke mit Klebeband an das Bett fesselt. Er verstärkt die Fesselung noch mit Klebestreifen über den Oberschenkeln und der Mitte des Rumpfes. Schließlich klebt er ihr auch noch den Mund zu. So hat er sie vollkommen unter Kontrolle. Wenn die Frau kurz darauf wieder zu sich kommt, kann sie sich nicht rühren und nicht schreien. Es ist, als sei sie gelähmt, und dennoch ist sie wach und erlebt alles, was nun geschieht, bei vollem Bewusstsein mit.
    Und was nun geschieht, ist der schlimmste Albtraum, den man sich überhaupt vorstellen kann.« Zuckers Stimme war zu einem monotonen Flüstern geworden. Je grotesker die Details, von denen er berichtete, desto leiser sprach er, und alle beugten sich vor und hingen gebannt an seinen Lippen.
    »Der Täter beginnt zu schneiden«, sagte Zucker. »Aus dem Obduktionsbericht geht hervor, dass er sich dabei Zeit lässt. Er geht sehr sorgfältig

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