Die Chirurgin
Wunde entfernt wurde. Und ein paar dunkle Polyesterfasern, die am Fensterrahmen hingen.«
»Ich nehme an, Sie haben auch keine Zeugen auftreiben können?«
»Wir haben im Fall Sterling dreizehnhundert Personen vernommen. Im Fall Ortiz sind es bis jetzt hundertachtzig. Niemand hat den Eindringling gesehen. Niemand hat irgendwelche verdächtigen Personen beobachtet.«
»Aber wir haben drei Geständnisse bekommen«, warf Crowe ein. »Alle drei sind einfach so ins Präsidium reinspaziert. Wir haben ihre Aussagen zu Protokoll genommen und sie wieder nach Hause geschickt.« Er lachte. »Alles Spinner.«
»Dieser Täter ist kein Verrückter«, sagte Zucker. »Ich könnte mir vorstellen, dass er vollkommen normal wirkt. Ich glaube, es handelt sich um einen Weißen von ungefähr dreißig Jahren. Sauber und gepflegt, von überdurchschnittlicher Intelligenz. Er hat mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Highschool abgeschlossen; vielleicht hat er das College besucht oder gar die Universität. Die beiden Tatorte sind fast zwei Kilometer voneinander entfernt, und die Morde wurden zu einer Zeit begangen, als kaum öffentliche Verkehrsmittel fuhren. Also hat er ein Auto. Es dürfte sorgfältig gepflegt und gewartet sein. Er ist wahrscheinlich nie wegen psychischer Probleme in Behandlung gewesen, aber möglicherweise hat er eine Jugendstrafe wegen Einbruchs oder Voyeurismus. Wenn er eine Beschäftigung hat, wird es sich um einen Job handeln, bei dem es sowohl auf Intelligenz als auch auf peinliche Genauigkeit ankommt. Wir wissen, dass er ein Planer ist, das hat er durch die Tatsache unter Beweis gestellt, dass er das Werkzeug für seine Morde bei sich trägt – Skalpell, Nahtmaterial, Klebeband, Chloroform. Dazu kommt noch irgendein Behälter, in dem er sein Souvenir nach Hause trägt. Es könnte sich um einen schlichten verschließbaren Plastikbeutel handeln. Er ist auf einem Gebiet tätig, das detailgenaues Arbeiten erfordert. Da er offensichtlich über anatomische Kenntnisse und chirurgische Fertigkeiten verfügt, könnten wir es mit einem ausgebildeten Mediziner zu tun haben.«
Rizzolis und Moores Blicke trafen sich – beiden war derselbe Gedanke gekommen: In Boston gab es wahrscheinlich mehr Ärzte im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung als irgendwo sonst auf der Welt.
»Da er intelligent ist«, fuhr Zucker fort, »weiß er, dass wir die Tatorte überwachen, und er wird der Versuchung widerstehen, dorthin zurückzukehren. Aber die Versuchung ist da, es ist also sinnvoll, die Überwachung der Wohnung von Ortiz fortzusetzen, zumindest für die nächste Zeit. Er ist ebenfalls intelligent genug, um sich seine Opfer nicht in seiner unmittelbaren Nachbarschaft auszusuchen. Er ist das, was wir einen ›Pendler‹ nennen, im Gegensatz zu einem ›Plünderer‹. Er verlässt seine nächste Umgebung, wenn er auf die Jagd geht. Solange wir nicht mehr Referenzpunkte als Grundlage haben, kann ich eigentlich kein geographisches Profil erstellen. Ich kann Ihnen also nicht sagen, auf welche Stadtteile Sie sich konzentrieren sollten.«
»Wie viele Referenzpunkte brauchen Sie denn?«, fragte Rizzoli.
»Fünf sind das Minimum.«
»Heißt das, wir brauchen mindestens fünf Morde?«
»Das geographische Lokalisierungsprogramm, das ich benutze, benötigt fünf Punkte, um verwertbare Ergebnisse liefern zu können. Ich habe es auch schon mit nur vier Referenzpunkten laufen lassen, und manchmal bekommt man damit eine Voraussage für den Wohnort des Täters, aber die ist dann recht ungenau. Wir müssen mehr über seine Bewegungen wissen. Welches sein Aktionsradius ist, wo seine Ankerpunkte liegen. Jeder Mörder arbeitet innerhalb einer bestimmten Zone, in der er sich sicher fühlt. Mörder sind wie Raubtiere auf der Jagd. Sie haben ihr Territorium, ihre Angelplätze, an denen sie ihre Beute finden.« Zucker blickte in die Gesichter der versammelten Detectives, die nicht sehr beeindruckt wirkten. »Wir wissen noch nicht genug über diesen Täter, um Vorhersagen treffen zu können. Wir müssen uns deshalb auf die Opfer konzentrieren. Wer sie sind, warum er sie ausgewählt hat.«
Zucker griff noch einmal in seine Aktentasche und nahm zwei Hefter heraus. Auf dem einen stand Sterling, auf dem anderen Ortiz. Er entnahm ihnen ein Dutzend Fotografien, die er auf dem Tisch ausbreitete. Aufnahmen der beiden Frauen, die gemacht worden waren, als sie beide noch lebten; einige noch aus Kindertagen.
»Manche dieser Fotos haben Sie noch nicht
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