Die Chronik der Drachenlanze 1 + 2
sagte Eben grimmig.
»Tretet zurück«, flüsterte Raistlin und lehnte vorsichtig seinen Stab an die Wand. Dann legte er beide Hände auf die Tür, berührte sie aber nur mit seinen Fingerspitzen und befahl: »Khetsaram pakliol!« Orangefarbenes Licht blitzte auf, aber nicht von der Tür, sondern von der Wand!
»Los!« Raistlin konnte gerade noch seinen Bruder zurückziehen, als sich die Wand mit der Bronzetür zu drehen begann.
»Schnell, bevor sie sich wieder schließt«, sagte Tanis, und
alle eilten durch die Öffnung. Raistlin taumelte, und Caramon griff nach seinem Bruder.
»Alles in Ordnung?« fragte Caramon, als sich hinter ihnen die Wand wieder schloß.
»Ja, die Schwäche wird vorübergehen«, flüsterte Raistlin. »Das war der erste Zauberspruch aus Fistandantilus’ Buch. Der Öffnungszauber funktioniert, aber ich hätte nicht gedacht, daß es mich so erschöpfen würde.«
Die Tür führte sie in einen weiteren, mehr als zwanzig Meter langen Flur, der nach Westen verlief, eine scharfe Biegung nach Süden machte, dann nach Osten und schließlich wieder nach Süden, wo sie sich vor einer weiteren Bronzetür wiederfanden.
Raistlin schüttelte den Kopf. »Ich kann den Zauber nur einmal anwenden. Dann ist er aus meinem Gedächtnis verschwunden.«
»Eine Feuerkugel könnte die Tür öffnen«, schlug Fizban vor. »Ich glaube, ich erinnere mich jetzt an den Spruch ...«
»Nein, Alter«, warf Tanis hastig ein. »In diesem engen Flur würden wir alle verbrennen. Tolpan ...«
Der Kender ging zur Tür und drückte sie auf. »Verdammt, sie ist offen«, sagte er, enttäuscht, daß er kein Schloß knacken konnte. Er spähte hindurch. »Nur ein weiterer Raum.«
Vorsichtig traten sie ein. Raistlin leuchtete die Kammer mit seinem Stab aus. Der Raum war vollkommen rund und hatte einen Durchmesser von mehr als dreißig Metern. Direkt ihnen gegenüber in südlicher Richtung befand sich eine Bronzetür und mitten im Raum...
»Eine krumme Säule«, sagte Tolpan kichernd. »Sieh mal, Flint. Die Zwerge haben eine krumme Säule gebaut!«
»Sie werden ihre Gründe gehabt haben«, schnappte der Zwerg und schob den Kender beiseite, um die hohe schlanke Säule zu untersuchen. Sie war wirklich krumm.
»Hmmmm«, machte Flint verwirrt. Dann – »Das ist überhaupt keine Säule, du Dummkopf!« explodierte Flint. »Das ist eine große Kette! Seht, sie ist mit einem Eisenträger am Boden befestigt.«
»Dann sind wir im Kettenraum!« sagte Gilthanas aufgeregt. »Das ist der berühmte Verteidigungsmechanismus von Pax Tarkas. Wir müssen uns schon fast in der Festung befinden.«
Die Gefährten versammelten sich und starrten verwundert auf die monströse Kette. Jedes Kettenglied war genauso groß wie Caramon und so dick wie der Stamm einer Eiche.
»Und wie funktioniert der Mechanismus?« fragte Tolpan, der am liebsten die Kette hochgeklettert wäre. »Wohin führt sie?«
»Die Kette führt zum Mechanismus«, antwortete Gilthanas. »Der Zwerg kann dir bestimmt sagen, wie er funktioniert, denn von solchen Dingen verstehe ich wenig. Aber wenn die Kette aus ihrer Halterung gelöst wird« – er zeigte auf den Eisenträger am Boden –, »dann fallen hinter den Toren der Festung riesige Granitblöcke nieder. Und keine Macht auf Krynn kann sie öffnen.«
Er ließ den Kender allein, der nach oben blickte und vergeblich versuchte, den wunderlichen Mechanismus zu erkennen, und gesellte sich zu den anderen, die den Raum untersuchten.
»Seht her!« rief er schließlich und zeigte auf einen kaum erkennbaren Umriß in der nördlichen Steinwand. »Eine Geheimtür! Das muß der Zugang sein!«
»Da ist die Türklinke.« Tolpan wandte sich von der Kette ab und deutete auf ein abgebröckeltes Steinstück am Boden. »Die Zwerge haben einen Fehler gemacht«, sagte er und grinste Flint an. »Das ist eine Scheintür, die falsch aussieht.«
»Und der man folglich nicht trauen sollte«, fügte Flint hinzu.
»Pah, auch Zwerge haben mal einen schlechten Tag«, sagte Eben und beugte sich zu dem Öffnungsmechanismus.
»Öffne sie nicht!« sagte Raistlin plötzlich.
»Warum nicht?« fragte Sturm. »Möchtest du jemanden warnen, bevor wir den Weg in die Festung finden?«
»Wenn ich dich verraten wollte, Ritter, dann hätte ich das schon tausendmal machen können!« zischte Raistlin und starrte auf die Geheimtür. »Ich spüre hinter dieser Tür eine Macht, größer als ich je gefühlt habe, seit...« Er stockte schaudernd.
»Seit wann?«
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