Die Chronik der Drachenlanze 1 + 2
anderen Tisch und redete angeregt mit Elistan. Tanis fand sie heute abend besonders schön und stellte fest, daß sie sich sehr verändert hatte, seitdem sie ihm von Qualinost gefolgt war. Ihm gefiel diese Veränderung. Aber er fragte sich, worüber sie sich mit Elistan so angeregt unterhielt.
Sturm berührte seinen Arm. Tanis schreckte hoch. Er hatte den Faden der Unterhaltung verloren. Er errötete und wollte sich gerade entschuldigen, als er in Sturms Gesicht sah.
»Was ist denn?« fragte Tanis besorgt.
»Pssst, beweg dich nicht!« befahl Sturm. »Sieh nur – dort drüben, wer da sitzt.«
Tanis sah in die Richtung und war verwirrt, denn er sah einen Mann, geistesabwesend allein über sein Essen gebeugt sitzen. Wenn jemand näher kam, schrak der Mann zusammen und beäugte denjenigen nervös. Plötzlich, vielleicht weil er Tanis’ Blick spürte, hob er seinen Kopf und starrte sie direkt an. Der Halb-Elf keuchte und ließ seine Gabel fallen.
»Aber das ist unmöglich!« sagte er. »Wir haben ihn sterben gesehen! Mit Eben! Niemand hätte das überleben können...«
»Dann habe ich mich nicht geirrt«, sagte Sturm grimmig. »Du hast ihn auch wiedererkannt. Ich dachte schon, ich wäre verrückt. Laß uns mit ihm sprechen.«
Doch als sie wieder aufsahen, war er verschwunden. Schnell durchsuchten sie die Menschenmenge, aber er war nicht mehr zu finden.
Als der silberne und der rote Mond am Himmel aufgingen, bildeten die verheirateten Paare einen Kreis um Braut und Bräutigam und begannen Hochzeitslieder zu singen. Unverheiratete Paare tanzten außerhalb des Kreises, während Kinder herumhüpften und riefen. Freudenfeuer brannten hell, Stimmen und Musik erfüllten die nächtliche Luft. Goldmond und Flußwind standen zusammen, ihre Augen leuchteten heller als die Monde und das Feuer.
Tanis hielt sich etwas abseits und beobachtete seine Freunde. Laurana und Gilthanas führten einen uralten Elfentanz mit Anmut und Schönheit auf und sangen dazu eine Freudenhymne. Sturm und Elistan sprachen über ihre Pläne, in den Süden zu reisen, um die legendäre Hafenstadt Tarsis, die Schöne, zu suchen, in der sie Schiffe zu finden hofften, die die Leute aus diesem vom Krieg verwüsteten Land fortbringen könnten. Tika, die es leid war, Caramon beim Essen zuzusehen, ärgerte Flint so lange, bis der Zwerg einwilligte, mit ihr zu tanzen, wobei er unter seinem Bart dunkelrot anlief.
Wo ist Raistlin? fragte sich Tanis. Der Halb-Elf erinnerte sich, ihn kurz zuvor noch gesehen zu haben. Der Magier hatte wenig gegessen und seinen Kräutertee getrunken. Er war ungewöhnlich blaß und schweigsam gewesen. Tanis beschloß, ihn zu suchen. Die Gesellschaft des düsteren, zynischen Magiers schien ihm heute abend eher zu passen als Musik und Gelächter.
Tanis wanderte in der mondbeleuchteten Dunkelheit, wußte irgendwie, daß seine Richtung stimmte. Er fand Raistlin auf einem Baumstumpf sitzend. Der Halb-Elf setzte sich neben den stillen Magier.
Ein kleiner Schatten huschte hinter die Bäume. Endlich würde Tolpan hören, was die beiden zu reden hatten.
Raistlins seltsame Augen starrten auf das Land im Süden, das irgendwo hinter den großen Bergen lag. Der Wind blies immer noch aus dem Süden, aber er begann sich zu drehen. Es wurde kälter. Tanis merkte, daß Raistlins zerbrechlicher Körper bebte. Als er ihn im Mondschein betrachtete, war Tanis erstaunt,
die Ähnlichkeit des Magiers mit seiner Halbschwester Kitiara festzustellen. Es war nur ein flüchtiger Eindruck und so schnell verschwunden, wie er gekommen war, aber er erinnerte Tanis an diese Frau und trug zu seiner Unruhe bei. Er spielte rastlos mit einem Stück Holz.
»Was siehst du im Süden?« fragte Tanis plötzlich.
Raistlin warf ihm einen kurzen Blick zu. »Was sollte ich schon sehen mit meinen Augen, Halb-Elf?« flüsterte der Magier bitter. »Ich sehe Tod, Tod und Zerstörung. Ich sehe Krieg.« Er zeigte nach oben. »Die Konstellationen haben sich nicht geändert. Die Königin der Finsternis ist nicht besiegt.«
»Wir haben vielleicht nicht den Krieg gewonnen«, begann Tanis, »aber auf alle Fälle haben wir eine große Schlacht ...«
Raistlin hustete und schüttelte traurig den Kopf.
»Hast du keine Hoffnung?«
»Hoffnung ist die Leugnung der Wirklichkeit. Es ist, als ob einem Zugpferd eine Rübe verlockend vor das Maul gehalten wird, um es am Weiterlaufen zu halten, und das Pferd versucht vergeblich, die Rübe zu erreichen.«
»Meinst du, wir sollten einfach
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