Die Chronik der Drachenlanze 1 + 2
sich um und sah alle Steintüren aufschwingen! Die Kammer füllte sich mit einer Kälte, daß Tanis’ Finger steif wurden. Hinter den Steintüren bewegte sich etwas.
»Die Königsgarde! Es waren ihre Spuren!« flüsterte Raistlin hektisch. »Menschlich und nichtmenschlich. Es gibt keine Fluchtmöglichkeit!« sagte er und hielt Tanis noch fester. »Anders als die Geister im Düsterwald haben diese hier nur einen Gedanken – alles zu vernichten, was die Ruhe des Königs stört!«
»Wir müssen es versuchen!« sagte Tanis und befreite sich aus der festen Umklammerung des Magiers. Er taumelte zum Eingang zurück, fand ihn aber von zwei Gestalten blockiert.
»Geht zurück!« keuchte Tanis. »Lauft! Wer – Fizban? Nein, du verrückter alter Mann! Wir müssen rennen! Die tote Garde ...«
»Beruhige dich«, murmelte der alte Mann. »Junges Volk. Panikmacher.« Er drehte sich um und half jemandem beim Eintreten. Es war Goldmond.
»Es ist alles in Ordnung, Tanis«, sagte sie. »Sieh her.« Sie zog
ihren Umhang beiseite: Ihr Amulett leuchtete blau. »Fizban meint, sie würden uns vorbeilassen, wenn sie das Amulett sehen. Und als er das sagte, begann es zu strahlen!«
»Nein!« Tanis wollte ihr befehlen zurückzugehen, aber Fizban tippte mit seinen langen, knochigen Fingern auf seine Brust.
»Du bist ein guter Mann, Tanis Halb-Elf«, sagte der alte Magier leise, »aber du machst dir zuviel Sorgen. Jetzt entspann dich, und laß uns diese armen Seelen wieder in ihren Schlaf schicken. Hol die anderen, ja?«
Tanis, dem die Worte fehlten, wich zurück, als Goldmond und Fizban mit Flußwind im Gefolge weitergingen.Tanis beobachtete, wie sie langsam zwischen den Reihen der geöffneten Türen dahinschritten. Sobald sie sich von einer Tür entfernten, hörte die Bewegung dahinter auf. Selbst aus der Entfernung konnte er spüren, wie sich der Eindruck der Bösartigkeit auflöste.
Als die anderen zum Eingang kamen und er ihnen half, beantwortete er ihre Fragen mit einem Schulterzucken. Laurana sagte kein Wort zu ihm, als sie durch das Loch stieg; ihre Hand fühlte sich kalt an, und zu seinem Erstaunen sah er Blut auf ihrer Lippe. Tanis war klar, daß sie sich auf die Lippe gebissen haben mußte, um nicht aufzuschreien, und reumütig wollte er ihr etwas sagen. Aber das Elfenmädchen hielt den Kopf hoch und sah ihn nicht an.
Die anderen rannten eilig hinter Goldmond her. Nur Tolpan blieb stehen, um in die Gruft hinter eine der Türen zu spähen. Er sah eine hochgewachsene Gestalt in prächtiger Rüstung auf einem steinernen Totenbett liegen. Skeletthände hielten ein Langschwert, das über seinem Körper lag.Tolpan sah neugierig auf das königliche Wappen und versuchte, die Worte nachzusprechen.
»Sothi Nuinqua Tsalarioth«, sagte Tanis plötzlich.
»Was bedeutet das?« fragte Tolpan.
»Treu über den Tod hinaus«, antwortete Tanis leise.
Am westlichen Ende der Kammer fanden sie eine bronzene
Doppeltür. Goldmond stieß sie mühelos auf. Sie betraten einen langen Korridor. In diesem Raum standen sie nur einem Problem gegenüber – den Zwerg wieder hinauszubekommen. Der Korridor war vollkommen unversehrt – der einzige Raum des Sla-Mori, den sie gesehen hatten, der die Umwälzung ohne Schaden überstanden hatte. Und der Grund dafür lag, wie Flint allen erklärte, in der wundervollen Zwergenkonstruktion – insbesondere den dreiundzwanzig Säulen, die die Decke stützten.
Der einzige Ausgang waren zwei identische Bronzetüren am anderen Ende der Kammer. Flint, der sich von den Säulen wegriß, untersuchte die Türen und kam zu dem Schluß, daß er keine Idee hatte, was sich hinter ihnen befinden oder wohin sie führen könnten. Nach kurzer Diskussion entschied sich Tanis für die rechte Tür.
Die Tür führte sie in eine saubere, enge Passage und nach etwa fünfzehn Metern zu einer weiteren Bronzetür, die jedoch verschlossen war. Caramon drückte und schob, aber ohne Erfolg.
»Es hat keinen Sinn«, knurrte er. »Sie bewegt sich nicht.«
Flint beobachtete Caramon einige Minuten, dann stapfte er schließlich nach vorn. Er untersuchte die Tür, schnaufte und schüttelte den Kopf. »Es ist eine Scheintür!«
»Sieht für mich aber sehr wirklich aus!« sagte Caramon und blickte argwöhnisch auf die Tür. »Sie hat sogar Scharniere!«
»Natürlich hat sie Scharniere«, schnaufte Flint. »Wir bauen keine Scheintüren, die falsch aussehen – das weiß doch jeder Gossenzwerg.«
»Wir sind also in einer Sackgasse!«
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