Die Chronik der Drachenlanze 3 + 4
nach Palanthas. Ich werde dort die Geschichte des heutigen Tages erzählen! Ich nehme diese Lanze und den Kopf eines Drachen mit. Ich werde diesen unheilvollen, blutigen Kopf auf die Stufen ihres wunderschönen Palastes werfen. Ich werde auf dem Drachenkopf stehen und sie zwingen, mir zuzuhören! Und Palanthas wird zuhören! Sie werden die Gefahr sehen! Und dann gehe ich nach Sankrist und nach Ergod und zu allen anderen Plätzen in dieser Welt, wo die Leute sich weigern, ihre nichtigen Haßgefühle zu vergessen und sich zu verbünden. Denn solange wir das Böse in uns nicht
bekämpfen – so wie dieser Mann es tat –, solange werden wir niemals dieses Böse besiegen, das uns zu verschlingen droht!«
Laurana hob ihre Hände und ihre Augen zum Himmel. »Paladin!« rief sie, ihre Stimme hallte wie ein Trompetenruf. »Wir kommen zu dir, Paladin, und begleiten die Seelen dieser ehrenhaften Ritter, die im Turm des Oberklerikers ihr Leben ließen. Gib uns, den in dieser vom Krieg zerrissenen Welt Zurückgebliebenen, die gleiche Ehrenhaftigkeit, die den Tod dieses Mannes auszeichnet!«
Laurana schloß ihre Augen, Tränen liefen über ihre Wangen. Sie konnte nicht mehr um Sturm trauern. Ihre Trauer galt ihr selbst, dem Fehlen seiner Gegenwart, daß sie Tanis vom Tod seines Freundes erzählen mußte, daß sie in dieser Welt ohne diesen ehrenhaften Freund an ihrer Seite leben mußte.
Langsam legte sie die Lanze auf den Altar. Dann kniete sie davor nieder, spürte Flints Arm um ihre Schultern und Tolpans sanfte Berührung ihrer Hand.
Als sie betete, hörte sie die Ritter hinter sich ihre Stimmen mit eigenen Gebeten zu dem großen und uralten Gott Paladin erheben.
Dann gingen die Ritter langsam und feierlich nacheinander nach vorn, um den Toten die letzte Ehre zu erweisen, jeder kniete einen Moment vor dem Altar. Dann verließen die Ritter von Solamnia die Kammer des Paladin und kehrten zu ihren Ruhelagern zurück, um noch etwas Schlaf vor der Morgendämmerung zu finden.
Schließlich standen nur noch Laurana, Flint und Tolpan bei ihrem Freund, ihre Arme umeinander geschlungen. Ein eisiger Wind pfiff durch die offene Tür der Grabstätte, wo die Ehrenwache stand, bereit, die Kammer zu versiegeln.
»Kharan bea Reorx«, sagte Flint in der Zwergensprache und wischte mit seiner knorrigen und zitternden Hand über seine Augen. »Freunde treffen sich bei Reorx.« Er wühlte in seinem Beutel und holte ein Stück Holz hervor, eine wunderschön geschnitzte Rose. Sanft legte er sie auf Sturms Brust neben Alhanas Sternenjuwel.
»Leb wohl, Sturm«, sagte Tolpan verlegen. »Ich habe nur ein Geschenk, das – das dir gefallen würde. Ich . . . ich glaube nicht, daß du es verstehst. Aber dann wiederum verstehst du es vielleicht doch. Vielleicht verstehst du es sogar besser als ich.« Tolpan legte eine kleine weiße Feder in die kalte Hand des Ritters.
»Quisalan elevas«, flüsterte Laurana in der Elfensprache. »Unser Liebesband ist ewig.« Sie hielt inne, wollte Sturm in dieser Dunkelheit nicht allein lassen.
»Komm, Laurana«, sagte Flint. »Wir haben uns verabschiedet. Wir müssen ihn nun gehen lassen. Reorx wartet auf ihn.«
Laurana trat zurück. Schweigend und ohne sich umzudrehen stiegen die drei Freunde die engen Stufen hoch und schritten durch die eisigen, stechenden Graupelschauer.
Weit entfernt vom eiskalten Solamnia, nahm jemand anders Abschied von Sturm Feuerklinge.
Silvanesti hatte sich in den vergangenen Monaten nicht verändert. Obwohl Loracs Alptraum zu Ende war und sein Körper unter der Erde seiner geliebten Heimat ruhte, erinnerte das Land sich noch an Loracs fürchterliche Träume. Die Luft roch nach Tod und Zerfall. Die Bäume waren immer noch in unendlichen Qualen verformt. Mißgebildete Kreaturen streiften durch die Wälder, versuchten, ihrer entstellten Existenz ein Ende zu bereiten.
Vergeblich wartete Alhana von ihrem Zimmer im Sternenturm aus auf eine Veränderung.
Die Greife waren zurückgekehrt, so wie sie es erwartet hatte, da der Drache verschwunden war. Sie hatte beabsichtigt, Silvanesti zu verlassen und zu ihrem Volk nach Ergod zurückzukehren. Aber die Greife brachten beunruhigende Neuigkeiten: Krieg zwischen Elfen und Menschen.
Es war ein Zeichen der Veränderung in Alhana, ein Zeichen ihres Leidens in diesen vergangenen Monaten, daß sie diese Nachrichten bedrückend fand. Bevor sie Tanis und die anderen kennengelernt hatte, hätte sie einen Krieg zwischen Elfen und Menschen
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