Die Chronik der Drachenlanze 3 + 4
ruhig auf sie ein, so wie er es mit der Damhirschkuh getan hatte. »Du solltest nicht allein hier sein – es ist gefährlich...«
Silvara hielt inne, stand halb im Mondschein, halb im schützenden Schatten, ihre Muskeln angespannt, sprungbereit. Gilthanas folgte seinem Jägerinstinkt, ging langsam auf sie zu, sprach dabei weiter und hielt sie mit seiner festen Stimme und seinen Augen gebannt.
»Du solltest hier nicht allein sein. Ich bleibe bei dir. Ich
möchte sowieso mit dir reden. Ich möchte, daß du mir einen Moment zuhörst. Ich muß mit dir reden, Silvara. Ich möchte hier auch nicht allein sein. Bitte verlaß mich nicht, Silvara. Soviel hat mich in dieser Welt verlassen. Bitte gehe nicht...«
Leise weiterredend näherte sich Gilthanas mit langsamen, vorsichtigen Schritten Silvara, bis er sah, daß sie einen Schritt zurücktrat. Er hob seine Hände und setzte sich auf einen Findling am Rande des Beckens, so daß das Wasser zwischen ihnen war. Silvara stand still und beobachtete ihn. Sie machte keine Anstalten, sich anzuziehen, und hielt nur immer weiter das Messer hoch.
Gilthanas bewunderte ihre Entschlossenheit, obwohl ihn ihre Nacktheit irritierte. Jede wohlerzogene Elfenfrau wäre spätestens jetzt ohnmächtig geworden. Er wußte, daß er seine Augen abwenden sollte, aber er war wie gebannt von ihrer Schönheit. Sein Blut wallte. Mit Mühe sprach er weiter, wußte dabei nicht, was er sagte. Nur allmählich wurde ihm bewußt, daß er die geheimsten Gedanken seines Herzens preisgab.
»Silvara, was mache ich hier? Mein Vater braucht mich, mein Volk braucht mich. Dennoch bin ich hier, breche das Gesetz. Mein Volk lebt im Exil. Ich finde das einzige, was ihnen helfen könnte – eine Kugel der Drachen –, aber jetzt riskiere ich mein Leben, um es meinem Volk wegzunehmen und es Menschen zu geben, um ihnen bei ihrem Krieg zu helfen! Es ist nicht einmal mein Krieg, es ist nicht der Krieg meines Volkes.« Gilthanas sah sie aufrichtig an, bemerkte, daß sie ihre Augen nicht von ihm abwandte. »Warum, Silvara? Warum habe ich diese Schande über mich gebracht? Warum habe ich das meinem Volk angetan?«
Er hielt den Atem an. Silvara sah in die Dunkelheit und die Sicherheit des Waldes, dann wieder zu ihm. Sie will fliehen, dachte er, sein Herz klopfte. Dann senkte Silvara langsam ihr Messer. In ihren Augen war so viel Traurigkeit und Leid, daß Gilthanas beschämt wegsehen mußte.
»Silvara«, begann er, »ich wollte dich nicht mit meinen Problemen belasten. Ich verstehe nicht, was ich tue. Ich weiß nur . . .«
». . . daß du es tun mußt«, beendete Silvara für ihn den Satz. Gilthanas sah auf. Silvara hatte sich in die zerschlissene Decke gehüllt. Doch dies erhitzte nur noch mehr die Flammen seiner Begierde. Ihr silbernes Haar, das über ihre Hüften fiel, glänzte im Mondschein. Die Decke verbarg ihre silberne Haut.
Gilthanas erhob sich langsam und ging auf sie zu. Sie stand immer noch am Rand des Waldes. Er konnte ihre Furcht spüren. Aber sie hatte das Messer fallen gelassen.
»Silvara«, sagte er, »was ich getan habe, verstößt gegen alle Elfensitten. Als meine Schwester mir ihren Plan mitteilte, die Kugel zu stehlen, hätte ich direkt zu meinem Vater gehen müssen. Ich hätte Alarm schlagen müssen. Ich hätte die Kugel an mich nehmen müssen...«
Silvara trat einen Schritt näher auf ihn zu, die Decke immer noch festhaltend. »Warum hast du es nicht getan?« fragte sie leise.
Gilthanas hatte sich den Felsstufen am nördlichen Ende des Beckens genähert. »Weil ich weiß, daß mein Volk sich irrt. Laurana hat recht. Sturm hat recht. Es ist richtig, die Kugel den Menschen zu bringen! Wir müssen diesen Krieg bekämpfen. Mein Volk ist im Unrecht, ihre Gesetze, ihre Sitten sind Unrecht. Ich weiß es – in meinem Herzen! Aber ich kann es nicht in meinen Kopf kriegen. Es quält mich . . .«
Silvara ging langsam am Rand des Beckens entlang. Auch sie näherte sich ihm von der gegenüberliegenden Seite.
»Ich verstehe«, sagte sie leise. »Mein eigenes . . .Volk versteht nicht, was ich tue oder warum ich es tue. Aber ich verstehe es. Ich weiß, was richtig ist, und ich glaube daran.«
»Ich beneide dich, Silvara«, flüsterte Gilthanas.
Gilthanas trat zu dem größten Stein, eine flache Insel im glitzernden, fallenden Wasser. Silvara, deren nasses Haar über ihren Körper fiel wie ein silbernes Gewand, stand jetzt nur noch wenige Meter von ihm entfernt.
»Silvara«, sagte Gilthanas mit
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