Die Chronik der Drachenlanze 5 + 6
geblendet von der plötzlichen Schwärze, streckte seine Hand nach ihr aus. Dann zog er sie zurück. Er drehte sich um, seine Hand fand Lauranas Hand. Zusammen stolperten sie durch den Schutt, tasteten sich ihren Weg an der Wand entlang. Die Kälte, die von dem toten Ritter ausging, ließ ihr Blut erstarren. Als Tanis zurückschaute, sah er Fürst Soth immer näher kommen, seine Augen schienen direkt auf sie zu starren. Hektisch tastete Tanis die Steinwand ab, seine Hände suchten die Tür. Dann spürte er nicht mehr den kalten Stein, sondern Holz. Er griff nach dem Eisengriff und drehte ihn. Die Tür öffnete sich bei seiner Berührung. Er zog Laurana nach, die zwei stürzten durch die Öffnung. Das plötzliche Aufflackern von Fackeln an den Stufen ließ sie für einen Moment erblinden, fast genauso wie die Dunkelheit zuvor.
Hinter sich hörte Tanis Kitiaras Stimme, die Fürst Soth zu sich rief. Er fragte sich, was der tote Ritter, der seine Beute verloren hatte, mit ihr anstellen würde. Der Traum fiel ihm wieder lebhaft ein.Wieder sah er Laurana sterben . . . Kitiara sterben . . . und er stand hilflos daneben, unfähig, beide zu retten. Dann löste sich das Bild auf.
Laurana wartete auf der Treppe, das Licht der Fackel glänzte auf ihrem goldenen Haar. Eilig schlug er die Tür zu und lief zu ihr.
»Das war die Elfenfrau«, sagte Fürst Soth, seine flammenden Augen folgten mühelos den beiden, die vor ihm wie verängstigte Mäuse wegliefen. »Und der Halb-Elf.«
»Ja«, sagte Kitiara ohne jegliches Interesse. Sie zog ihr Schwert hervor und begann, das Blut mit dem Saum ihres Umhangs abzuwischen.
»Soll ich ihnen nachgehen?« fragte Soth.
»Nein. Auf uns warten jetzt wichtigere Angelegenheiten«, erwiderte Kitiara. Sie sah zu ihm hoch und lächelte ihn bezaubernd an. »Die Elfenfrau würde dir sowieso nicht gehören, nicht einmal im Tod. Die Götter beschützen sie.«
Soths flackernder Blick wandte sich Kitiara zu. Die bleichen
Lippen kräuselten sich vor Abscheu. »Der Halb-Elf bleibt trotzdem dein Meister.«
»Nein, das glaube ich nicht«, entgegnete Kitiara. Sie sah sich um, als Tanis gerade die Tür hinter sich schloß. »Manchmal, in den dunkelsten Stunden der Nacht, wird er neben ihr im Bett liegen, und dann wird er an mich denken. Er wird sich an meine letzten Worte erinnern, er wird von ihnen gerührt sein. Ich habe ihnen ihr Glück gegeben. Und sie muß mit dem Wissen leben, daß ich für immer einen Platz in Tanis’ Herzen habe.Welche Liebe sie auch zueinander finden werden, ich habe sie vergiftet. Meine Rache an beiden ist vollendet. Nun, hast du das dabei, wonach ich dich geschickt habe?«
»Das habe ich, Finstere Herrin«, erwiderte Fürst Soth. Mit einem Zauberwort brachte er einen Gegenstand hervor und hielt ihn ihr mit seiner Skeletthand hin. Ehrfürchtig legte er ihn ihr zu Füßen.
Kitiara hielt den Atem an, ihre Augen glänzten in der Dunkelheit fast genauso hell wie die des toten Fürsten. »Hervorragend! Kehre nach Burg Dargaard zurück. Sammle die Soldaten. Wir werden die Kontrolle über die Fliegenden Zitadellen übernehmen, die Ariakus nach Kalaman geschickt hat. Dann werden wir uns zurückziehen, uns neu gruppieren und abwarten.«
Das grauenvolle Gesicht von Fürst Soth lächelte, als er auf den Gegenstand zeigte. »Sie gehört dir nun rechtmäßig. Jene, die sich gegen dich gestellt haben, sind entweder tot, wie du befohlen hast, oder sind geflohen, bevor ich sie erreichen konnte.«
»Ihr Untergang ist lediglich aufgeschoben«, sagte Kitiara, die ihr Schwert wieder einsteckte. »Du hast mir gut gedient, Soth, und ich werde dich reich belohnen. Auf dieser Welt gibt es genug Elfenmädchen.«
»Jene, die auf deinen Befehl sterben sollen, werden sterben. Jene, denen du das Leben gestattest«, Soths Blick flackerte zu der Tür, »werden leben. Vergiß nicht – von allen, die dir dienen, Finstere Herrin, kann nur ich allein dir unsterbliche Loyalität
anbieten. Das mache ich jetzt mit Freuden. Meine Krieger und ich werden nach Burg Dargaard zurückkehren, wie es dein Wunsch ist. Dort werden wir deine weiteren Befehle abwarten.«
Er verneigte sich vor ihr und nahm ihre Hand in seinen Skelettgriff. »Leb wohl, Kitiara«, sagte er, dann hielt er inne. »Wie fühlt man sich, meine Liebe, wenn man weiß, daß man den Verdammten Freude gebracht hat? Du hast mein langweiliges Totenreich interessant gemacht.Wie wäre das nur gewesen, wenn ich dich als lebender Mann gekannt hätte!«
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