Die Chronik der Drachenlanze 5 + 6
seufzte der Kender, seine Augen hingen zärtlich an seinen kostbaren Besitztümern, die auf dem blutverschmierten Boden verstreut lagen. »Das ist wahrscheinlich nicht das Ende meines Abenteuers. Und – wie dem auch sei – in leere Taschen paßt mehr rein, wie meine Mutter zu sagen pflegte.«
Als Tolpan hinter zwei Drakoniern herstolperte, sah er in den sternenklaren Himmel. »Es tut mir leid, Flint«, sagte er leise. »Jetzt mußt du doch noch ein bißchen länger auf mich warten.«
A ls Tanis die Vorkammer betrat, war die Veränderung so verblüffend, daß sie ihm eine Minute lang völlig unverständlich blieb. Nur einen Moment zuvor hatte er sich abquälen müssen, um inmitten des Mobs auf den Füßen zu bleiben, und jetzt befand er sich in einem kühlen dunklen Raum, ähnlich dem, wo er und Kitiara und ihre Soldaten auf ihren Einzug in die Empfangshalle gewartet hatten.
Er sah sich schnell um; er war allein. Obwohl sein Instinkt ihn drängte, in seiner verzweifelten Suche aus dem Zimmer zu stürzen, zwang er sich, stehenzubleiben, Atem zu holen und
das Blut aus den Augen zu wischen. Er versuchte sich zu erinnern, wo der Eingang zum Tempel war. Die Vorkammern, die in einem Kreis um die Empfangshalle angeordnet waren, waren mit dem vorderen Teil des Tempels durch eine Reihe sich windender Korridore verbunden. Einst, vor langer Zeit in Istar, mußten diese Korridore eine logische Ordnung gebildet haben. Aber die Formveränderung des Tempels hatte sie zu einem Labyrinth verzerrt, dem man nicht entrinnen konnte. Korridore hörten abrupt auf, wenn er erwartete, daß sie weiterführten, während jene, die kurz zu sein schienen, ewig weitergingen.
Der Boden unter seinen Füßen gab nach, während Staub von der Decke wirbelte. Ein Gemälde fiel krachend von der Wand. Tanis hatte keine Vorstellung, wo er Laurana finden konnte. Er hatte nur gesehen, daß sie hierher verschwunden war.
Sie war in dem Tempel eingesperrt gewesen, aber im unterirdischen Bereich. Er fragte sich, ob sie überhaupt ihre Umgebung erkannt hatte, als man sie hierher gebracht hatte, ob sie eine Vorstellung davon hatte, wie man wieder herauskam. Und dann stellte Tanis fest, daß er selbst nur eine verschwommene Vorstellung davon hatte, wo er sich befand. Er fand eine brennende Fackel, ergriff sie und beleuchtete das Zimmer. Eine mit Tapeten verkleidete Tür, nur an einem zerbrochenen Scharnier hängend, war leicht geöffnet. Er spähte hinein und sah, daß sie zu einem schwach beleuchteten Korridor führte.
Tanis hielt den Atem an. Er wußte nun, wo er Laurana finden konnte!
Eine Brise wehte durch den Gang – frische Luft, prickelnd von den Düften des Frühlings, kühl durch den gesegneten Frieden der Nacht – und berührte seine linke Wange. Laurana mußte diese Brise gespürt und vermutet haben, daß der Korridor aus dem Tempel führte. Schnell lief Tanis weiter, ignorierte den Schmerz in seinem Kopf, zwang seine erschöpften Muskeln, seinem Willen zu gehorchen.
Eine Gruppe Drakonier tauchte plötzlich aus einem Zimmer kommend vor ihm auf. Tanis fiel ein, daß er immer noch die Uniform der Drachenarmee trug, und hielt sie an.
»Die Elfenfrau!« schrie er. »Sie darf nicht entkommen. Habt ihr sie gesehen?«
Sie hatten sie offenbar nicht gesehen, wie man ihrem hastigen Knurren entnehmen konnte. Auch die nächste Gruppe, auf die Tanis stieß, war ihr nicht begegnet. Aber zwei Drakonier, die nach Beute suchend durch die Hallen wanderten, hatten sie gesehen. Sie zeigten in die Richtung, auf die Tanis bereits zusteuerte. Sein Mut stieg.
Inzwischen hatten die Kämpfe in der Halle geendet. Die überlebenden Drachenfürsten waren entkommen und befanden sich nun mit ihren Soldaten außerhalb der Tempelmauern. Einige kämpften, andere zogen sich zurück und warteten ab, wer als Sieger hervorgehen würde. Zwei Fragen beschäftigten alle. Die erste war, ob die Drachen bleiben oder mit ihrer Königin verschwinden würden, so wie es im Zweiten Drachenkrieg der Fall gewesen war. Und zweitens, falls die Drachen blieben, wer würde dann ihr Herr sein?
Tanis brütete selbst über diese Fragen, während er durch die Korridore lief, manchmal um die falsche Ecke bog und bitter fluchte, wenn er einer festen Mauer gegenüberstand und gezwungen war, wieder zurückzulaufen, bis er wieder die frische Luft riechen konnte.
Aber schließlich wurde er zu müde, um überhaupt über etwas nachzudenken. Erschöpfung und Schmerzen forderten ihren Tribut. Seine
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