Die Chronik der Drachenlanze 5 + 6
formt. Neben der Schmiede von Reorx steht ein Baum von unübertrefflicher Schönheit, so etwas hat ein lebendiges Wesen niemals gesehen. Unter diesem Baum sitzt ein grummelnder alter Zwerg, der sich vom vielen Arbeiten ausruht. Ein Krug Bier steht neben ihm, das Feuer der Esse wärmt seine Knochen. Er verbringt den ganzen Tag unter diesem Baum, schnitzt und formt das Holz, das er so liebt. Und jeden Tag kommt jemand an diesem wunderschönen Baum vorbei und will sich zu ihm setzen.
Der Zwerg funkelt sie dann so streng an, daß sie sich unverzüglich wieder erheben. Dieser Platz ist heilig, grummelt der Zwerg. Irgendwo ist ein lahmdenkender Türknopf von Kender auf Abenteuern unterwegs, der sich selbst und all jene, unglücklich genug, mit ihm zusammen zu sein, in eine nichtendenwollende Kette von Schwierigkeiten bringt.Achtet auf meine Worte. Eines Tages wird er hier erscheinen, und er wird meinen Baum bewundern und sagen: Flint, ich bin müde. Ich glaube, ich ruhe mich hier ein bißchen aus bei dir. Dann wird er sich hinsetzen und sagen: Flint, hast du schon von meinem neuesten Abenteuer gehört? Nun, da war dieser schwarzgekleidete Zauberer und sein Bruder und ich, und wir waren auf einer Reise durch die Zeit, und die wundervollsten Dinge sind passiert . . . Und ich muß mir wieder so eine verrückte Geschichte anhören . . . Und so grummelt er weiter. Jene, die unter diesem Baum sitzen möchten, verbergen ihr Lächeln und lassen ihn in Ruhe.«
»Dann . . . ist er nicht allein?« fragte Tolpan und wischte sich mit einer Hand über die Augen.
»Nein, Kind. Er ist geduldig. Er weiß, daß du in deinem Leben noch eine Menge zu erledigen hast. Er wartet. Außerdem hat er bereits all deine Geschichten gehört. Du mußt ihm schon mit ein paar neuen kommen.«
»Aber diese hat er noch nicht gehört«, sagteTolpan mit erwachender Aufregung. »Oh, Fizban, es war wundervoll! Ich bin fast gestorben – wieder einmal. Und ich habe meine Augen geöffnet, und da war Raistlin in schwarzer Robe!« Tolpan erbebte vor Entzücken. »Er sah so – na ja –, so böse aus! Aber er hat mein Leben gerettet! Und – uh!« Er hielt entsetzt inne, dann ließ er seinen Kopf hängen. »Es tut mir leid. Ich habe es vergessen. Ich vermute, ich sollte dich nicht mehr Fizban nennen.«
Der alte Mann erhob sich und tätschelte ihn sanft. »Nenn mich Fizban. Von nun an soll das mein Name bei den Kendern sein.« Die Stimme des alten Mannes wurde nachdenklich. »Um die Wahrheit zu sagen, der Name ist mir richtig ans Herz gewachsen.«
Der alte Mann ging zu Tanis und Caramon und lauschte einen Moment ihrer Unterhaltung.
»Er ist gegangen, Tanis«, sagte Caramon traurig. »Ich weiß nicht, wohin. Ich verstehe es nicht. Er ist immer noch zerbrechlich, aber nicht mehr schwach. Dieser entsetzliche Husten ist verschwunden. Seine Stimme ist seine eigene, aber doch anders. Er ist . . .«
»Fistandantilus«, sagte der alte Mann.
Tanis und Caramon drehten sich um. Als sie den alten Mann sahen, verbeugten sie sich ehrfürchtig.
»Oh . . .«, schnappte Fizban. »Kann dieses Verbeugen nicht ertragen. Ihr seid Heuchler! Ich weiß, wie ihr hinter meinem Rükken über mich geredet habt.«Tanis und Caramon erröteten. »Nicht schlimm.« Fizban lächelte. »Ihr habt das geglaubt, was ich wollte, daß ihr glaubt. Nun, was deinen Bruder betrifft, hast du recht. Er ist er selbst, und er ist es nicht. So wie es vorausgesagt wurde, ist er der Herr über Gegenwart undVergangenheit.«
»Ich verstehe das nicht.« Caramon schüttelte den Kopf. »Hat die Kugel der Drachen das bei ihm angerichtet?Wenn das stimmt, könnte man sie vielleicht zerstören oder . . .«
»Nichts hat etwas bei ihm angerichtet«, sagte Fizban, der Caramon streng musterte. »Dein Bruder hat sich für dieses Schicksal entschieden.«
»Ich glaube das nicht! Wer ist dieser Fistan . . . wie auch immer? Ich will Antworten . . .«
»Die Antworten, die du suchst, kann ich nicht geben«, unterbrach Fizban. Seine Stimme war immer noch sanft, aber in ihr lag eine Spur von Stahl, die Caramon zum Schweigen brachte. »Und hüte dich vor diesen Antworten, junger Mann«, fügte Fizban leise hinzu. »Hüte dich vor weiteren Fragen!« Caramon sagte lange Zeit nichts, starrte in den Himmel, dem grünen Drachen nach, obwohl er schon längst verschwunden war.
»Was wird nun aus ihm werden?« fragte er schließlich.
»Ich weiß es nicht«, antwortete Fizban. »Er nimmt sein Schicksal in die eigenen Hände,
Weitere Kostenlose Bücher