Die Chronik der Drachenlanze 5 + 6
zwar miteinander bekannt gemacht, aber ich habe ihn leider vergessen.«
»Tanis«, antwortete der Offizier mit gedämpfter Stimme. »Tanis, der Halb-Elf. Und ich wünsche dir auch einen schönen Abend.«
Der Offizier nickte dem Wirt noch einmal kühl zu und zog noch einmal an seinen Handschuhen. Dann öffnete er die Tür und trat in den Sturm hinaus. Der eisige Wind fegte in den Raum, blies die Kerzen aus und wirbelte die Papiere des Wirts umher. Einen Moment lang kämpfte der Offizier mit der schweren Tür, während der Wirt fluchte und nach seinen umherwirbelnden Rechnungen griff. Schließlich gelang es dem Offizier, die Tür hinter sich zuzuschlagen.
Der Wirt starrte dem Offizier nach und sah ihn am vorderen Fenster vorbeigehen, den Kopf gegen den Sturm gebeugt, der Umhang bauschte sich hinter ihm auf.
Noch eine andere Gestalt beobachtete den Offizier. Als die Tür zugeschlagen wurde, hatte der Drakonier seinen Kopf gehoben, seine schwarzen Reptilienaugen funkelten. Er erhob sich verstohlen vom Tisch, seine Schritte waren schnell und sicher. Er schlich zum Fenster und spähte hinaus. Der Drakonier wartete einen Augenblick, dann riß er die Tür auf und verschwand in den Sturm.
Durch das Fenster sah der Wirt, daß der Drakonier die gleiche Richtung wie der Offizier einschlug. Man konnte bei dem
Wetter nicht viel erkennen, aber der Wirt glaubte zu sehen, daß der Offizier in eine Straße eingebogen war, die zur Stadtmitte führte. Sich in den Schatten haltend, schlich der Drakonier hinterher. Der Wirt schüttelte den Kopf und weckte den Nachtdiener.
»Ich habe das Gefühl, daß die Fürstin heute nacht kommt, ob Unwetter oder nicht«, sagte der Wirt dem verschlafenen Mann. »Weck mich, wenn sie kommt.«
Als er noch einmal in die Nacht starrte, erschauerte er, sah vor seinem geistigen Auge den Offizier durch die leeren Straßen von Treibgut laufen, von der schattenhaften Gestalt des Drakoniers gefolgt.
»Ich habe es mir anders überlegt«, murmelte der Wirt, »laß mich schlafen.«
Der Sturm brachte in dieser Nacht alles in Treibgut zum Erliegen. Die Tavernen, die normalerweise bis zum Morgengrauen geöffnet hatten, waren verriegelt und verschlossen, die Straßen waren verlassen. Niemand wagte sich nach draußen in den Wind, der einen Mann umwerfen konnte und selbst die wärmste Kleidung durchdrang.
Tanis ging schnell, mit gesenktem Kopf, und hielt sich in der Häusernähe. Sein Bart war bald von Eis umrahmt. Graupel stach in sein Gesicht. Der Halb-Elf schüttelte sich vor Kälte und verfluchte das kalte Metall der Drachenrüstung an seinem Körper. Gelegentlich blickte er sich um. Vielleicht hatte doch jemand ein besonderes Interesse an seinem Verlassen des Gasthauses gehabt.Aber er konnte so gut wie nichts erkennen. Graupel und Regen umwirbelten ihn, so daß er kaum die hohen Gebäude sehen konnte, die schemenhaft in der Dunkelheit aufragten. Nach einer Weile beschloß er, sich lieber auf seinen Weg durch die Stadt zu konzentrieren. Bald war er starr vor Kälte, und es wurde ihm gleichgültig, ob ihm jemand folgte oder nicht.
Er war noch nicht lange in Treibgut – genauer gesagt vier Tage. Und die meiste Zeit davon hatte er mit ihr verbracht.
Tanis verdrängte diesen Gedanken, als er durch den Regen
auf die Straßenschilder starrte. Er wußte nur vage, wohin er ging. Seine Freunde waren in einem Gasthaus am Rande der Stadt. Einen Moment lang fragte er sich verzweifelt, was er tun sollte, falls er sich verlaufen würde. Er konnte es nicht wagen, sich nach ihnen zu erkundigen . . .
Und dann fand er das Gasthaus. Er stolperte durch die verlassenen Straßen, glitt auf Eis aus und schluchzte fast vor Erleichterung, als er das Schild wild im Wind schaukeln sah. Er hatte sich nicht einmal an den Namen erinnern können, aber jetzt fiel er ihm wieder ein – Zum Wellenbrecher.
Dummer Name für ein Gasthaus, dachte er, während er, vor Kälte schlotternd, kaum den Türgriff fassen konnte. Als er die Tür öffnete, wurde er mit der Wucht des Windes hineingeblasen, und nur mit Mühe konnte er sie wieder hinter sich zudrücken.
Es gab keinen Nachtwächter – nicht in diesem schäbigen Gasthaus. Im Schein eines Kaminfeuers sah Tanis einen Kerzenstummel auf der Theke liegen. Seine Hände zitterten so sehr, daß er den Feuerstein kaum halten konnte. Er zwang seine steifgefrorenen Finger zu gehorchen, zündete die Kerze an und stieg die Treppe hoch.
Wenn er sich umgedreht und aus dem Fenster geschaut hätte,
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