Die Chronik der Drachenlanze 5 + 6
ich versprochen.
Dann hat er fast gelächelt und erschöpft seine Augen geschlossen. Ich hielt mein Versprechen. Ich bin wach geblieben, während er schlief. Und es war schön. Vielleicht hat es sie ferngehalten, denn solange ich wach blieb und aufpaßte, hatte er keine Alpträume.
Und auch als er älter wurde, schrie er immer noch manchmal in der Nacht und griff nach mir. Und ich war da. Aber was wird
er jetzt tun? Was wird er ohne mich tun, wenn er in der Finsternis ist, allein, verloren und verängstigt?
Was wird er ohne mich tun?
Caramon schloß seine Augen und begann zu weinen, ganz leise, um Tika nicht zu wecken.
U nd das ist unsere Geschichte«, schloß Tanis. Apoletta hatte ihm aufmerksam zugehört, ihre grünen Augen waren gespannt auf ihn gerichtet gewesen. Sie hatte ihn nicht unterbrochen. Als er geendet hatte, schwieg sie weiter. Sie wirkte gedankenverloren. Tanis störte sie nicht. Das Gefühl des Friedens und der Ruhe beruhigte und tröstete ihn. Der Gedanke an die Rückkehr in die rauhe, grelle Welt des Sonnenlichtes und des Lärms machte ihm plötzlich angst. Wie leicht wäre es, alles zu verdrängen und hierzubleiben, am Meeresgrund, für immer in dieser leisen Welt verborgen.
»Was ist mit ihm?« fragte sie schließlich und nickte zu Berem.
Tanis kam mit einem Seufzen wieder in die Wirklichkeit zurück.
»Ich weiß es nicht«, sagte er schulterzuckend und blickte kurz zu Berem. Der Mann starrte in die dunkle Höhle. Seine Lippen bewegten sich, als ob er immer wieder einen Gesang wiederholen würde.
»Für die Königin der Finsternis ist er der Schlüssel.Wenn sie ihn findet, ist ihr der Sieg gewiß.«
»Nun«, sagte Apoletta abrupt, »ihr habt ihn. Ist damit euer Sieg gewiß?«
Tanis blinzelte. Diese Frage überraschte ihn. Er kratzte sich am Bart und grübelte. Daran hatte er noch gar nicht gedacht.
»Es stimmt... wir haben ihn«, murmelte er, »aber was sollen wir mit ihm machen? Was hat er an sich, das den Sieg garantiert – egal, für welche Seite?«
»Weiß er es nicht?«
»Er behauptet, es nicht zu wissen.«
Apoletta musterte Berem stirnrunzelnd. »Ich würde sagen, er lügt«, sagte sie nach einem Moment. »Aber andererseits ist er ein Mensch, und ich weiß wenig über die seltsamen Denkweisen der Menschen. Aber es gibt einen Weg, wie du es herausfinden kannst. Gehe nach Neraka zum Tempel der Dunklen Königin.«
»Neraka!« wiederholte Tanis erstaunt. »Aber das ist. . .« Er wurde von einem Aufschrei unterbrochen, der so voller Angst und Entsetzen war, daß er beinahe ins Wasser gestürzt wäre. Seine Hand fuhr zu seiner leeren Schwertscheide. Mit einem Fluch wirbelte er herum, nicht weniger als eine Horde Drachen erwartend.
Aber es war nur Berem, der ihn mit weit aufgerissenen Augen anstarrte.
»Was ist los, Berem?« fragte Tanis nervös. »Was war denn?«
»Er hat nichts gesehen, Halb-Elf«, sagte Apoletta, »er hat auf den Namen Neraka so reagiert...«
»Neraka!« wiederholte Berem, heftig seinen Kopf schüttelnd. »Unheil! Großes Unheil! Nein... nein...«
»Aber du kommst doch daher«, sagte Tanis und trat näher.
Berem schüttelte hartnäckig den Kopf.
»Aber du hast mir gesagt...«
»Ein Fehler!« murmelte Berem. »Ich meinte nicht Neraka. Ich meinte...Takar...Takar... Das hatte ich gemeint...«
»Du hast Neraka gemeint. Du weißt, daß dort in Neraka die Dunkle Königin ihren großen Tempel stehen hat!« sagte Apoletta streng.
»Hat sie das?« Berem sah die Elfe direkt an, seine blauen Augen waren groß und unschuldig. »Die Dunkle Königin, einen Tempel in Neraka? Nein, da gibt es nur ein kleines Dorf. Mein Dorf...« Plötzlich griff er an seinen Magen und krümmte sich, als hätte er Schmerzen. »Ich fühl’ mich nicht gut. Laßt mich in Ruhe...«, greinte er wie ein Kind und ließ sich auf den Marmorboden neben dem Wasser fallen. Er setzte sich und umklammerte seinen Magen und starrte in die Dunkelheit.
»Berem!« rief Tanis wütend.
»Fühl’ mich nicht gut...«, murmelte Berem widerspenstig.
»Was hast du gesagt, wie alt er ist?« fragte Apoletta.
»Über dreihundert Jahre, das behauptet er jedenfalls«, sagte Tanis verärgert. »Wenn du nur die Hälfte von dem, was er erzählt, glaubst, bleiben immer noch hundertfünfzig Jahre übrig, was genauso unlogisch ist, jedenfalls aus menschlicher Perspektive.«
»Weißt du«, erwiderte Apoletta nachdenklich, »der Tempel der Königin in Neraka ist ein Rätsel für uns. Nach der Umwälzung tauchte
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